Quantenwelt klingt theoretisch? Stimmt! Dennoch holen wir sie am Fraunhofer IIS in die Anwendung. Etwa über Quantencomputer, die deutlich schneller und effizienter sind als bisherige Hochleistungs-Rechenzentren: Wir entwickeln nicht nur die nötige Hardware für die Ansteuerung der Qubits, sondern auch entsprechende Algorithmen – und bringen die Quantencomputer somit einen großen Schritt weiter in Richtung praktischer Anwendung.
Die Quantenwelt ist mit unseren alltäglichen Erfahrungen nicht begreifbar – ja, sie läuft unserer physikalischen Intuition sogar zuwider. Nicht umsonst sagte der Physiker Niels Bohr: »Wer von der Quantentheorie nicht schockiert ist, der hat sie nicht verstanden.« Nutzen jedoch lässt sich die Quantenmechanik für unseren Alltag sehr wohl. So etwa für Quantencomputer: Sie gelten als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts – weltweit arbeiten Forscherinnen und Forscher an deren Entwicklung. Im Gegensatz zu herkömmlichen Computern rechnet der Quantencomputer nicht mit den zwei konkreten Werten Null und Eins, sondern berechnet eine Überlagerung von Lösungen. Aufgrund von Überlagerung, Verschränkung und Interferenz gehen sie die Dinge somit anders an als herkömmliche Computer.
Wir entwickeln sowohl die nötige Hardware für die Ansteuerung der einzelnen Qubits als auch die Algorithmen.
Quantencomputer tragen ein großes Potenzial zur effizienten Lösung beispielsweise von komplexen Optimierungsproblemen, die etwa bei der Fahrplanung der Deutschen Bahn aufkommen. Doch bergen die neuen Hochleistungs-Rechner auch eine Gefahr: Gängige Verschlüsselungen werden sich mit ihnen ebenfalls schnell und leicht knacken lassen. Hier setzt das Gebiet der Quantenkommunikation an, die auch langfristig eine sichere Informationsübertragung erlauben soll. Das Prinzip: Werden Informationen mittels Quantenzuständen übertragen, lässt sich erkennen, ob jemand mithört. Schaltet sich unerlaubt jemand zu, zerstört er damit den ursprünglichen Quantenzustand und verändert das System – was prompt erkannt wird. Die Quantensensorik wiederum nutzt die Empfindlichkeit von Quantensystemen für Messungen, die um viele Größenordnungen genauer sind als klassische Sensoren, z. B. in der Magnetfeldmessung oder Temperaturmessung.
Hardware, Algorithmen und Machine Learning
Am Fraunhofer IIS nutzen wir unsere Expertise für beides: Wir entwickeln sowohl die nötige Hardware für die Ansteuerung der einzelnen Qubits als auch die Algorithmen. Dabei denken wir bereits heute in zukünftigen Anwendungen. »Für die Ansteuerung der Qubits nutzen wir die Hochfrequenztechnik«, erläutert Dr. Thorsten Edelhäußer, Leiter der Forschungsplanung am Fraunhofer IIS. Die Anforderungen sind alles andere als ein Pappenstiel: Die Hochfrequenztechnik muss nicht nur sehr rauscharm, sondern auch für Extremtemperaturen ausgelegt sein – schließlich arbeiten Quantencomputer vielfach bei sehr tiefen Temperaturen, die nur sehr knapp über dem absoluten Nullpunkt liegen. Zusätzlich wird am Fraunhofer IIS auch an einer entsprechenden Ansteuerelektronik gearbeitet, die hochgenaue und phasenreine Signale für sehr viele Kanäle generiert. Über Verfahren des Machine Learnings kann die Signalform optimiert und können Aufgabenstellungen mittels Quantencomputer besser gelöst werden.
Doch wie lassen sich die Potenziale von Quantencomputing auch seitens der Industrie nutzen? Dies untersuchen unsere Forscherinnen und Forscher im BayQS – Bayerisches Kompetenzzentrum Quanten Security and Data Science, das im April 2021 offiziell eröffnet wurde und vom Freistaat Bayern mit insgesamt 17 Millionen Euro gefördert wird. Beteiligt sind auch das Fraunhofer AISEC, das Fraunhofer IKS, die Technische Universität München, die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie das Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. »Wir untersuchen und entwickeln Quantenalgorithmen für relevante Fragestellungen, beispielsweise der Zeitreihenvorhersage, der Verbesserung von Mobilfunkübertragung und -lokalisierung oder in der Auswertung komplexer Sensorik«, erläutert Edelhäußer.
Hierfür steht der Fraunhofer-Gesellschaft und ihren Partnern exklusiv ein IBM Q System One Quantencomputer mit 27 Qubits zur Verfügung – das erste System in Europa am deutschen Standort Ehningen. Diesen setzen wir bereits im Projekt »QLindA« des Bundesforschungsministeriums ein: Gemeinsam mit der Siemens AG arbeiten wir an der Entwicklung und Erprobung von Quantenalgorithmen für Reinforcement Learning zur Lösung von Problemstellungen – etwa Regelungsoptimierung in der Prozessindustrie, den Einsatz verteilter Automatisierungssysteme in der Smart Factory sowie die Optimierung in der Produktionsplanung.
Im Projekt Munich Quantum Valley (MQV) entwickeln wir mit Partnern – ebenfalls durch den Freistaat Bayern mit insgesamt 300 Millionen Euro gefördert – spezielle Komponenten für leistungsfähigere Quantencomputer, die auf drei verschiedenen Technologien basieren: Supraleitung, Neutralatome und Ionenfallen. »Das interdisziplinäre Team aus verschiedenen Forschungseinrichtungen bündelt die Kompetenzen Bayerns und deckt die gesamte Entwicklung ab, von der Algorithmik über die Elektronik bis zu den eigentlichen Quantensystemen«, sagt Edelhäußer. Kurzum: Am Fraunhofer IIS eröffnen wir der Zukunftstechnologie Quantencomputer einen Weg in die Anwendung.