»Menschen mit Herzrhythmusstörungen wissen oft gar nicht, dass etwas nicht stimmt.«

4. Dezember 2018

Das Fraunhofer IIS hat mit dem FitnessSHIRT einen Prototypen entwickelt, der verschiedene Vitaldaten messen kann. Die Firma Ambiotex hat das Shirt in ein marktreifes Produkt umgesetzt. Im Interview erklären Geschäftsführer Florian Dennerlein und Christian Hofmann vom Fraunhofer IIS, was das Shirt besser macht als Sportuhren und was Sporttreibende künftig erwarten können.

© Fraunhofer IIS
Florian Dennerlein (l.) und Christian Hofmann mit dem intelligenten Sport-Shirt.
Das FitnessSHIRT des Fraunhofer IIS misst Puls, Atmungsaktivität und Bewegungsintensität. © Fraunhofer IIS/Kurt Fuchs
© Fraunhofer IIS/Kurt Fuchs
Das FitnessSHIRT misst Vital-Daten wie Puls und Stress-Level in Echtzeit.

Herr Dennerlein, Sie sind Geschäftsführer der Firma Ambiotex. In Ihrem Web-Shop kann man das »ambiotex-Shirt« kaufen, mit dem man Parameter wie u.a. die Herzratenvariabilität ermitteln kann. Warum sind solche Messungen in Textilien sinnvoller als beispielweise mit Smartwatches, die mittlerweile auch EKG-fähig sind?

 

Florian Dennerlein: Bei Smartwatches lässt sich ein EKG nur dann ausführen, wenn man die andere Hand auf die Uhr drückt, da man dafür immer zwei Kontaktpunkte benötigt, die auf einer gedachten Linie durchs Herz gehen müssen. Wenn man Symptome verspürt, sich z.B. schlecht oder schwindelig fühlt, kann man selber Situationen erkennen, in denen eine Messung sinnvoll erscheint. Dies kann dann mit einer solchen Uhr durchgeführt werden.

Der Ansatz unseres Shirts ist es, dass es dem Träger ein dauerhaftes Monitoring mit medizinischer Genauigkeit ermöglicht, ohne dabei in irgendeiner Form in den Alltag einzugreifen. Menschen mit Herzrhythmusstörungen beispielsweise wissen oft gar nicht, dass im Herzmuskel etwas nicht stimmt, da ein permanentes Kontrollieren über mehrere Wochen notwendig ist, um das Vorhandensein einer Störung auszuschließen; ein 24h-EKG beim Arzt etwa ist hierfür oft nicht ausreichend.

 

Treiben Sie beide selber Sport und hat Sie das bei der Wahl Ihres Berufes oder Ihrer Forschungsarbeit beeinflusst?

 

Florian Dennerlein: Vor ein paar Jahren habe ich mit wenigen Monaten Training quasi von null auf hundert einen Alpencross absolviert. Mein Körper fing danach an zu rebellieren. Ich wusste zunächst nicht, dass ich mich im Übertraining befand. Mir fehlten einfach Antennen, um die eigene Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Im Anschluss an die Tour habe ich mich deswegen auch näher mit Leistungsdiagnostik auseinandergesetzt. Während meiner Zeit am Fraunhofer IPA habe ich mich stark mit Arbeitsschutz und Ergonomie beschäftigt und konnte mir gut vorstellen, langfristig im Bereich Herzraten- und Stressmessung zu arbeiten. Zwei Wochen später hat mich ein Bekannter der Schwesterfirma von Ambiotex angerufen und mir mitgeteilt, dass dort ein Posten als Produktentwickler frei ist. So bin ich sozusagen wie die Jungfrau zum Kinde zu Ambiotex gekommen.

Christian Hofmann: Als Ingenieur macht es mir natürlich Spaß, Daten in guter Qualität zu erfassen, aufzubereiten, zur Verfügung zu stellen und eine Vernetzung zu leisten in medizinischen Applikationen. Dazu kommt, dass ich seit meinem 14. Lebensjahr Radsport betreibe. So kann ich Hobby und Beruf vereinbaren und bin ich sehr glücklich, am Fraunhofer IIS in diesem Bereich forschen zu können.

 

Herr Hofmann, die Basis des marktreifen Produktes ist das FitnessSHIRT, ein Prototyp des Fraunhofer IIS. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Elektronik in ein T-Shirt einzubauen? Gab es einen »Heureka-Moment« oder fußt die Idee auf einer langen Entwicklung?

 

Christian Hofmann: Es war eine längere Entwicklung. Die ursprüngliche Intention war es, Sensoren außerhalb des Krankenhauses zur Verfügung zu stellen, um Patienten nicht nur dort beobachten zu können. In einem ersten Schritt haben wir ein mobiles Schlaflabor entwickelt. Doch Ziel war es, auch im mobilen Alltag Sensoren zu haben, die eine Messung der Vitaldaten ermöglicht. So entstand mit der Zeit die Idee, Atmungsbänder oder EKG-Elektroden in Kleidungsstücke einzuarbeiten und eine breitere Zielgruppe anzusprechen.

Ein besonderer Moment ist mir v.a. nach der Entwicklung noch im Gedächtnis geblieben, als das Shirt schon auf dem Markt war. Ich war auf einem Kongress zum Thema Smart Home und zu tragbarer Sensorik. Als die Hauptrednerin auf einmal, aus dem Nichts, davon sprach, dass sie live unser FitnessSHIRT trägt, war ich total überrascht. Da wusste ich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich habe in dem Moment gegrinst wie ein Honigkuchenpferd.

 

Wie sind Ambiotex und das Fraunhofer IIS zueinandergekommen?

 

Christian Hofmann: Wir hatten auf der Medica 2013 einen Messestand und haben unseren Prototypen ausgestellt. Wir wurden dort angesprochen und es entstand mit Florians Vorgänger Thomas Claussen und Klaus Bscheid die Idee und das Ziel, das FitnessShirt kommerziell zu verbreiten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Firma Ambiotex kurze Zeit später gegründet.

 

Wie geht es weiter mit dem Shirt? Was können technikaffine Sporttreibende künftig noch erwarten zur besseren Steuerung des Trainings?

 

Florian Dennerlein: Was wir bereits haben ist ein Basissatz an Analysen. Was noch fehlt, ist eine automatisierte Interpretation der Daten oder eine automatisierte Trainingsplanung. Langfristig wollen wir auch im Bereich Arbeitsschutz einsteigen und dort mit dem Shirt vor Gefahrensituationen warnen.

 

Wie kann das Fraunhofer IIS dabei unterstützen?

 

Christian Hofmann: Im Leistungszentrum Elektroniksysteme LZE arbeiten wir daran, mit dem Sensor »ELECSA« die Trainingsbelastung durch Schweiß zu messen. Dadurch entsteht eine nicht-invasive Alternative zur berühmt-berüchtigten Laktatmessung – ohne medizinisches Personal und ohne Trainingsunterbrechung. Grundsätzlich funktioniert die Technologie im Labor bereits, für den mobilen Einsatz müssen wir aber noch einige Nüsse knacken und suchen auch Partner für die weiterführende Entwicklung.

 

Herr Dennerlein, Herr Hofmann, vielen Dank für das Gespräch.

Kurzviten

Florian Dennerlein studierte in Tübingen Bioinformatik. Er ist seit 2015 bei Ambiotex und seit Februar 2016 Geschäftsführer. Vorher arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in der Abteilung Biomechatronische Systeme und leitete dort das biomechanische Bewegungslabor.

 

Christian Hofmann arbeitet seit 2003 am Fraunhofer IIS und ist Leiter der Gruppe »Medizinische Sensorsysteme«. Er studierte Elektrotechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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