»Wir können Assistenzsysteme entwickeln, die feststellen, ob die Nudelsauce noch genießbar ist.«

5. November 2018

Bereits zum vierten Mal innerhalb eines Jahres liegt Herr Winter mit einer Magenverstimmung krank im Bett. Er konnte nicht erkennen, dass die Nudelsauce vom Vortrag bereits verdorben war. Durch einen Infekt hat er vor einigen Jahren seinen Riech- und Geschmackssinn verloren. Mit dieser Beeinträchtigung ist er nicht alleine. Insgesamt sind davon alleine in Deutschland über 5 Prozent der Menschen betroffen.

 

Im Campus der Sinne sollen die menschlichen Sinne digital erfasst werden. Im Interview geben die Initiatoren des Campus, Prof. Dr. Albert Heuberger, Prof. Dr. Andrea Büttner und Dr. Jens-Uwe Garbas Auskunft über die Unterstützung von Menschen mit Wahrnehmungsbeeinträchtigungen und darüber, was so schwierig an der Forschung ist.

Dr. Jens-Uwe Garbas ist Gruppenleiter am Fraunhofer IIS.

Die Nachbildung menschlicher Sinneswahrnehmungen mit digitalen Systemen ist der Fokus im Campus der Sinne. Wie kann der Campus Menschen ohne Riech- und Geschmackssinn wie Herrn Winter künftig helfen?

 

Andrea Büttner: Der Campus der Sinne kann zum Beispiel mit der Entwicklung von verschiedenen Tools zunächst dabei helfen, dass Herr Winter überhaupt merkt, dass er eine Riech- und Schmeckstörung hat und dass es sich um verdorbenes Essen handelt. Viele Menschen sind sich dessen gar nicht bewusst, da es oftmals ein schleichender Prozess ist oder, wie in diesem Fall, die Störung durch eine »normale« Krankheit hervorgerufen wurde. Mit solchen diagnostischen Tools lässt sich auch frühzeitig erkennen, ob Herr Winter Anzeichen von Alzheimer oder Parkinson hat, die oft mit Riechstörungen einhergehen. Darüberhinaus könnten wir im Campus Assistenzsysteme und Sensoren entwickeln, die dann quasi als Riechersatz feststellen können, ob die Nudelsauce noch genießbar ist.

 

Woher kam die Idee, in diese Richtung zu forschen? Welche Sinne sollen digitalisiert werden?

 

Andrea Büttner: Die Idee an sich war naheliegend: Wenn man sich die Sinne des Menschen ansieht, kann man feststellen, dass es bei den Sinnen Sehen, Hören oder Tasten bereits gelungen ist, maschinelle Systeme zur Unterstützung der Fähigkeiten, wie etwa Hörgeräte oder eine Brille, zu entwickeln. Der Campus der Sinne setzt daran an und konzentriert sich vor allem auch auf die beiden »chemischen« Sinne Riechen und Schmecken. Was ich beispielsweise. liebend gerne tun würde, wäre, den Geruch der Macchia, der charakteristischen Gebirgsvegetation von Korsika aufzeichnen und daheim in meinem Wohnzimmer abspielen.

 

Die Forschung an diesem Thema steckt noch in den Kinderschuhen. Was ist die Schwierigkeit darin?

 

Jens-Uwe Garbas: Die Digitalisierung der Sinne hat mehrere Dimensionen. Es geht ja nicht nur darum, die Sinneswahrnehmung zu digitalisieren, sondern auch das, was man interpretiert und assoziiert und was es an Gefühlen auslöst. Die Herausforderung besteht darin – um bei dem bereits genannten Beispiel der Macchia zu bleiben – diesen Geruch mit einem maschinellen System einzufangen und zu bewerten, um diesen dann evtl. sogar an einen anderen Ort zu transportieren.

 

Was sind die ersten Schritte des Campus?

 

Albert Heuberger: Der erste Schritt ist es, Maschinen beizubringen, die komplexe Welt der Moleküle zu verstehen. Der Mensch ist bislang in vielerlei Hinsicht deutlich sensitiver und auch breitbandiger als Maschinen. Es gibt sehr viele unterschiedliche geruchsaktive Substanzen. Maschinen können im Einzelfall auch sehr geringe Konzentrationen detektieren. Schwer wird es dann, wenn die Substanzen in einer komplexen Mischung vorliegen und die eigentliche Wahrnehmung beim Menschen nachgebildet werden soll.

 

Der Campus der Sinne besteht aus den Fraunhofer-Instituten IVV und IIS sowie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) als universitären Partner. Das sind alles Forschungseinrichtungen. Wie können Unternehmen aus der Wirtschaft von der Forschung profitieren?

 

Albert Heuberger: Der Campus bringt die unterschiedlichen Expertisen aus den drei Forschungseinrichtungen zusammen, die oft in Unternehmen nur zum Teil abgebildet sind. Zum Beispiel gibt es Firmen aus der Lebensmittelbranche, die sich naturgemäß sehr stark mit Lebensmitteln beschäftigen, aber sich womöglich nur eingeschränkt mit maschinellem Lernen auseinandersetzen. Solchen Unternehmen bieten wir Unterstützung. So wollen wir in Einklang mit den Geschäftsmodellen der Unternehmen gemeinsam neue Methoden, Dienstleistungen oder Technologien zur Erfassung und Interpretation menschlicher Sinne entwickeln.

 

Was finden Sie an der Forschung an den menschlichen Sinneswahrnehmungen persönlich am spannendsten?

 

Andrea Büttner: Ich finde am spannendsten, dass die Forschung mir hilft, mich selbst als Mensch besser zu verstehen und mir viele Phänomene des Menschen erst dadurch aufgezeigt werden, wenn wir versuchen, diese in Maschinen zu übersetzen.

Jens-Uwe Garbas: Mir gefällt besonders, dass wir im Campus über Disziplingrenzen hinweg denken und arbeiten müssen. Da, wo zwei Forschungsgebiete sich überlappen, können schnell Innovationen entstehen – wenn man Offenheit und den Willen mitbringt die »Sprachbarriere« zu überbrücken. Genau das macht den Campus mit seinen Forscherinnen und Forschern aus vielen verschiedenen Feldern für mich aus.

Albert Heuberger: Geschmack und Geruch sind derzeit noch nicht digital greifbar. Neue Möglichkeiten zu schaffen, um solche Eindrücke künftig auch transportieren und lokal präsent haben zu können, ist eine faszinierende Herausforderung.

 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wo würden Sie sich einen Sinneswandel besonders wünschen?

 

Andrea Büttner: Da die Forschung der Sinneswahrnehmung sehr komplex ist, würde ich gerne meine eigenen Wahrnehmungen komplett verstehen und mehr Bewusstsein für unsere verschiedenen Sinne wecken. Das Riechen ist zum Beispiel noch vollkommen unterschätzt, da wir auf Gerüche oft nur unbewusst reagieren.

Albert Heuberger: Ich wünsche mir ein Kochbuch, das mir nicht nur schöne Bilder liefert, sondern auch das Aroma des fertigen Gerichts, bevor ich es vorher am Herd ausprobieren muss.

Jens-Uwe Garbas: Ich will, dass Computer und Maschinen sich in Zukunft an meine Bedürfnisse anpassen – und nicht andersherum.

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