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Dr. Stefan Gerth
Abteilungsleitung
Fraunhofer IIS
Flugplatzstraße 75
90768 Fürth, Deutschland
Telefon +49 911 58061-7658
Zum Kick-off-Meeting des Fraunhofer-Zentrums für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming kam im Juli 2022 sogar Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und unterstrich damit die Bedeutung des Forschungsverbunds, der in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern etabliert wird. Ziel ist die Entwicklung innovativer Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft – vom Saatgut über die Lebensmittelverfahrenstechnik bis zum veredelten Produkt.
Im bayerischen Teilprojekt setzt das Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT des Fraunhofer IIS beim Saatgut an. Genauer gesagt bei der Zucht von Nutzpflanzen, die an den Klimawandel angepasst sind. Die neuen Sorten müssen mit Hitze und Trockenheit klarkommen. Gleichzeitig sollen sie möglichst wenig Dünger und im Idealfall keine Pestizide mehr benötigen. »Die Menschen selektieren seit Jahrtausenden Nutzpflanzen anhand äußerer Merkmale«, erklärt Dr. Stefan Gerth, Abteilungsleiter am Fraunhofer EZRT. »Wir entwickeln Technologien, um diese Merkmale objektiv und reproduzierbar zu messen und anhand der Daten die Züchtung zu optimieren.« Betrachtet werden Faktoren wie Blattgröße, Blattstellung, Wurzelgeflecht oder Ertrag. Gemeinsam bestimmen diese Eigenschaften den Phänotyp, also das äußere Erscheinungsbild einer Pflanze.
Als Stefan Gerth vor zehn Jahren begann, Kartoffeln zu röntgen, war er einer der Pioniere auf diesem bis dahin nahezu unerforschten Gebiet der zerstörungsfreien Phänotypisierung von unterirdischen Pflanzenteilen. Damals untersuchte er Kartoffeln, die unter Hitzestress stehen. Er wollte ihr Wachstum verfolgen, ohne sie auszugraben. Daher kultivierte er die Kartoffeln in Blumentöpfen und konstruierte mit seinem Team einen Computertomographen, um die Pflanzen zu röntgen. »Durch regelmäßiges Röntgen konnten wir genau beobachten, wie die Knollenbildung durch Hitze und Trockenheit beeinflusst wird«, berichtet Stefan Gerth.
Mit diesen Forschungen legte er die Grundlage für den Bau einer speziellen Röntgenkammer für Nutzpflanzen, die es in dieser Form nur am Fraunhofer EZRT in Fürth gibt. Auf dem schmalen Fließband vor der Röntgenkammer stehen Töpfe mit Nutzpflanzen in Reih und Glied. Das Fließband positioniert die Pflanzen nacheinander in dem Computertomographen. Nur fünf Minuten später ist die nächste Pflanze an der Reihe. »Mit diesem System können wir sogar die feine Wurzelarchitektur von Weizen erfassen und beobachten, wie die Pflanzen auf Hitze- oder Trockenstress reagieren«, verdeutlicht Stefan Gerth. »Unsere Röntgenkabine ist das modernste und leistungsstärkste Röntgensystem für unterirdische Pflanzenteile.«
In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer EZRT hat die niederländische Firma PhenoKey einen robusten CT-Scanner für die Pflanzenzucht entwickelt. Zu den Kunden gehören große Saatzuchtunternehmen, in deren Gewächshäusern Zehntausende von Pflanzen stehen, die begutachtet werden müssen. Die CT-Aufnahmen haben eine enorm hohe Auflösung und sind rund 40 Gigabyte groß. Um diese Datenmengen für die Kunden handhabbar zu machen, analysieren Algorithmen die Datensätze automatisiert und kristallisieren die wichtigen Daten heraus.
Bei der Beurteilung der Zuchtpflanzen werden natürlich auch die oberirdischen Pflanzenteile vermessen. Hier stehen andere Fragen im Vordergrund: Stellt eine Pflanze ihre Blätter auf, um sich vor der Sonne zu schützen? Rollt sie stressbedingt ihre Blätter ein? Antworten liefern hier vor allem optische 3D-Messungen, die digital erfasst werden.
Durch die Kombination von 3D-Bildern und Röntgenaufnahmen lassen sich noch tiefer gehende Informationen gewinnen. Wie das praktisch abläuft, zeigt der Feldroboter DeBiFix. Das hochbeinige Gefährt rollt ferngesteuert durch Weizenfelder. Während es sich seinen Weg durch die dicht stehenden Ähren bahnt, macht es kontinuierlich Röntgenaufnahmen der Pflanzen. Gleichzeitig erzeugt es mit einem optischen System 3D-Bilder. Anhand dieser Daten kann der Roboter quasi in die Weizenähren hineinschauen und erkennen, ob die angebaute Sorte einen guten Ertrag liefern wird.
Im Rahmen des Fraunhofer-Zentrums für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming baut das Fraunhofer EZRT in Triesdorf einen neuen Standort für Pflanzen-Phänotypisierung auf. Triesdorf liegt in Mittelfranken und ist ein überregionales Zentrum für Landwirtschaft mit den Landwirtschaftlichen Lehranstalten und der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Mit dem dortigen Kompetenzzentrum für digitale Agrarwirtschaft arbeitet das Fraunhofer EZRT bereits eng zusammen. »Der Standort Triesdorf ist ideal, um den Kontakt zur Landwirtschaft auszubauen und den Technologietransfer voranzutreiben«, betont Stefan Gerth. »Wir wollen mit unserer Forschungsarbeit vor allem kleine und mittelständische Pflanzenzuchtunternehmen unterstützen.«
Gleichzeitig intensiviert das Fraunhofer IIS die Kontakte zu den beiden anderen Fraunhofer-Instituten, die im Zentrum für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming in Bayern aktiv sind. Das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising arbeitet an Projekten zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Nutzung regionaler Rohstoffe. Die Fraunhofer-Einrichtung für Mikrosysteme und Festkörper-Technologien EMFT in München bringt ihre Kompetenzen in den Bereichen Sensortechnologien, Systemintegration und Mikroaktorik in das Zentrum ein. So wird z. B. in Triesdorf ein Testfeld mit Sensoren bestückt, um Klima- und Bodendaten in einem feinen Raster zu erfassen. Für Stefan Gerth bietet diese Zusammenarbeit einen großen Mehrwert: »Durch die Kombination der Umweltdaten mit unseren Daten aus der Phänotypisierung können wir den Züchtern noch präzisere Informationen für die Selektion der Pflanzen liefern.«