Forschung unter Segeln auf der Thor Heyerdahl

19. Oktober 2017 | Ein Erlebnisbericht von Dr. Nadine Lang

Im Sommer 2017 lädt die Friedrich-Alexander-Universtät Erlangen-Nürnberg eigene und externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Thor Heyerdahl ein. In insgesamt drei Etappen segelt das Schiff von Kiel über Malmö, Riga, Helsinki, Tallinn und Danzig bis Rostock. Pro Etappe sind unterschiedliche wissenschaftliche Teams an Bord, die dort interdisziplinär forschen und Hand in Hand an Deck zusammen arbeiten. Nadine Lang, die am Fraunhofer IIS auch für das Team des Leitungszentrums Elektroniksysteme LZE arbeitet, war eine Woche lang mit dabei und berichtet von ihren Erlebnissen, Erfahrungen und Erkenntnissen.

© Fraunhofer IIS/Nadine Lang
Am Nürnberger Flughafen startet das Team des Leistungszentrums Elektroniksysteme LZE auf in das gemeinsame Abenteuer. Thomas Heckel, Fraunhofer IISB; Dr. Hari Suman Naik, FAU; Fabian Lurz, FAU; Dr. Marek Galek, Siemens; Dr. Markus Ziegmann, Siemens und Dr. Nadine Lang, Fraunhofer IIS (v.l.)

25. Juli, erster Tag, Anreise nach Riga; um vier Uhr morgens ist die Nacht vorbei, um sechs geht es gut gelaunt (siehe Foto) ins Flugzeug und ab nach Berlin, der erste Zwischenstopp auf dem Weg nach Riga.

Von dort aus fliegen wir die Lettische Hauptstadt an. Im gleichen Flugzeug sitzen auch alle anderen Erlanger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, insgesamt zwölf Leute. In Riga warten wir am Gepäckband – und warten und warten… bis sich die Tore senken und das Band stoppt. Zwölf Leute aus Erlangen stehen ohne Gepäck da. Mittlerweile ist es kurz vor 13 Uhr. Um 14 Uhr soll die Thor Heyerdahl den Hafen verlassen. Nach kurzer Rücksprache mit dem Kapitän lockert dieser das Zeitfenster etwas, so dass wir noch schnell in die Rigaer Innenstadt fahren und uns zumindest mit neuer Unterwäsche, Socken, T-Shirts und Zahnbürsten eindecken können.

Auf dem Schiff erfahren wir, dass unsere Vorgängerinnen und Vorgänger auf dem Schiff, die die erste Etappe auf der Thor Heyerdahl absolvierten, von unserem Unglück Wind bekommen haben und uns – wie gute Seefahrenden eben – mit Schlafsäcken, Gummistiefeln, Regenklamotten, Schampoos und Sonnencremes aushelfen. Die erste Teambuilding-Maßnahme – für die wir überaus dankbar sind.

Danach gibt es erst mal eine kleine Einführung ins Segeln und in die Regeln an Board. Zum Beispiel: Wann ist die Schwimmweste zu holen? Und wenn die Glocke läutet, dann sollen wir entweder zum Essen kommen oder es gibt ein All-Hands-on-Deck-Manöver. Gar nicht so einfach…

»Raise the peak halyard!«

© Fraunhofer IIS/Nadine Lang
© Fraunhofer IIS/Nadine Lang
Arbeiten Hand in Hand: Wie alle Mitglieder der Besatzung packt auch Nadine Lang kräftig mit an. Hier sieht man sie beim Einsatz an an Deck und in der Schiffsküche.

Dann geht es endlich los: Wir verlassen Riga. Den Hafen im Rücken gibt es weitere Einweisungen in den Schiffsalltag. Dabei lernen wir, was alles zu tun ist, wenn wir Wache haben. Für mich heißt das konkret: Ich bin in Wache 2, zusammen mit dem kompletten ENET-Team sowie unseren Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Wache 2 hat Schiffsdienst von 4 Uhr bis 8 Uhr morgens – puh – und von 16 Uhr bis 20 Uhr abends. Dabei steuern wir das Schiff, halten nach anderen Schiffen oder Land Ausschau, korrigieren die Position, kontrollieren und protokollieren das Wetter und prüfen das ganze Schiff auf Feuer oder eingedrungenes Wasser – das Ganze stündlich…

Wir haben also ordentlich zu tun während der Wache. Wenn der zusätzliche Dieselmotor im Einsatz ist, checken und ölen wir auch diesen stündlich. Wenn man dann seine Wache hinter sich hat, geht’s zur Happy Hour… Hört sich gut an, denken wir uns. Gemeint ist hier aber das gemeinsame Putzen des Schiffes.

Außerdem ist jede Wache für ein bestimmtes Set an Segeln zuständig – in unserem Fall ist es das Großsegel und das Marssegel. Das heißt, wann immer es nötig ist, legen wir Hand an und hissen entweder das Segel oder holen dieses wieder ein. In einem solchen Fall hat sich die komplette Wachmannschaft an vorher verabredete Stellen zu begeben, um dann die Anweisungen der Wachchefin zu befolgen: » Raise the peak halyard!«, »Slack the guys!«

So fahren wir durch die baltische See, vorbei an über 2000 kleinen Inseln, die meisten davon unbewohnt. Jetzt gibt es die ersten Gelegenheiten für einen Austausch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Bord. Trotz der unterschiedlichen Fachrichtungen komme ich schnell auf Gemeinsamkeiten, z.B. mit einem Professor für Big Data aus Osnabrück oder einem Professor des Karlsruher Instituts für Technologie KIT, der sich mit Supraleitung und Kältetechnik beschäftigt. Die ein oder andere vage Projektidee lässt sich auch gut beim leichten Schaukeln der Wellen diskutieren.

© Fraunhofer IIS
In insgesamt drei Etappen segelte das Schiff von Kiel über Malmö, Riga, Helsinki, Tallinn und Danzig bis Rostock.
© Fraunhofer IIS/Nadine Lang
Auf zur Insel beim Run & Dip. Die Thor Heyerdahl ist im Hintergrund zu sehen.

Run & Dip

Die nächste Aktion, die wir in unserer jungen Seefahrerkarriere lernen, ist: Auch ein großes Schiff bietet niemals genug Platz, um mal ein bisschen zu laufen. Der oder die Seefahrende kennt aber ein gutes Gegenrezept: Run & Dip – und das geht so: Man sucht sich eine schöne Insel aus, schmeißt um 6 Uhr morgens die Laufschuhe und sich selbst in eines der Dingis oder das motorisierte Rettungsboot (Memo an alle die nicht gerne paddeln – immer versuchen auf das Rettungsboot zu kommen!) und fährt bzw. paddelt rüber zur Insel. Dort angekommen rennt man einmal um die Insel herum und kühlt sich nach dem Lauf im 17 Grad warmen Ostseewasser ab. Danach geht’s zurück aufs Schiff zum Frühstück. Soweit die Theorie…

Unser erstes Run & Dip gleicht eher einer Erkundung eines Urwalds, denn leider sieht unsere Insel nur von weitem schön aus. Vor Ort waten wir vor allem durch stinkenden, sumpfigen Boden, der in dichtes Gestrüpp und Dschungel übergeht. Irgendwo finden wir einen verlassenen Aussichtsturm – mit »Run« war es also nicht viel. Daher beschließen wir, um zumindest etwas Bewegung zu haben, die 700 Meter von der Küste zum Schiff zurück zu schwimmen – so »dippen« wir zumindest ausgiebig, was allerdings eine sehr spaßige Aktion ist!

Open Ship Day in Helsinki

© Fraunhofer IIS/Nadine Lang
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler informieren bei den Open Ship Days über ihre Forschungsarbeiten.

Als nächstes geht es dann auch schon direkt auf den Hafen von Helsinki zu. Und auf die nächste Lektion: Das Schiff muss ‚hafenfein‘ sein! Das heißt ordentlich putzen und vor allem – alle Segel einholen und schön einpacken. Da wir für das Marssegel zuständig sind, das mittlere Quersegel am Bug des Schiffs auf etwa 20 Metern Höhe, heißt es nun: Kletterstunde! Mir als Freizeitkletterin kommt das sehr entgegen. Endlich wieder einen Klettergurt anlegen! Oben angekommen stehen dann insgesamt 7 Leute auf einem Drahtseil und mühen sich, vorn über gelehnt, das Segel schön zu packen. Dabei befinden wir uns mittlerweile auch schon im Hafen und sind somit gleich die Attraktion in Helsinki – das Ergebnis kann sich laut unserer Wachchefin jedoch mehr als sehen lassen: »Für Anfänger habt ihr das ganz hübsch gemacht.«

Am Tag nach unserer Ankunft veranstalten wir unseren ersten »Open Ship Day«. Dazu bauen wir Pavillons auf und stellen unsere Forschungsprojekte vor. Vom Fraunhofer IIS zeigen wir zum Beispiel das FitnessSHIRT und den ELECSA-Sensor aus dem Leistungszentrum Elektroniksysteme LZE. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Helsinki schauen bei uns vorbei – und ungefähr 80 % der Reisenden von der AIDA, die nämlich die Haltestelle für ihren Transferbus direkt neben unserem Liegeplatz hat.

Auf nach Tallinn oder: Wie parke ich ein Segelschiff rückwärts ein?

© Fraunhofer IIS/Nadine Lang

Weiter geht unsere Fahrt nach Tallinn. Eine kurze, aber windstille Reise von nur ein paar Stunden. Das Highlight dieses Abschnitts erwartet uns im Hafen von Tallinn – dieser ist relativ klein und eng und wir sind mit unseren 50 Metern Schiffslänge doch nicht wirklich vergleichbar mit den kleinen Yachten die so in diesem Hafen liegen. Das Ergebnis: Wir müssen rückwärts einparken. Den ersten Versuch dazu am Nachmittag müssen wir abbrechen, da der Wind relativ stark ist und wir deswegen so stark abgedrängt werden, dass wir beinahe ein paar kleine Yachten zerdrücken. Gegen Abend wird es dann windstiller – und dunkel… Also parken wir jetzt im Dunkeln mit einem 50 Meter langen Segelschiff. Auch für unseren Kapitän keine Alltäglichkeit. Dementsprechend angespannt sind Crew und Besatzung und während des Manövers ist es mucksmäuschenstill an Deck der Thor Heyerdahl. Nach etwa einer Stunde kommt dann aber doch das erlösende Klingeln der Schiffsglocke, die das geglückte Manöver verkündet.

Am nächsten Tag beginnt unser »Open Ship Day« relativ ruhig, denn anders als in Helsinki sind wir nicht mitten in der Stadt, sondern relativ weit vom Zentrum entfernt. Glücklicherweise liegen wir allerdings in einem Schiffsmuseum mit alten Kriegs- und Küstenwacheschiffen. So kommen doch einige Besucherinnen und Besuher vorbei und auch eine Vertretung der Universität von Tallinn sowie ein estländischer Textilunternehmer, der eigentlich mit seiner Familie Urlaub macht, sich aber sehr für unsere textilintegrierte Sensorik interessiert. Am Ende des Tages spielt das Wetter nicht mehr mit und wir packen im Rekordtempo – inklusive Ladeluken-Tetris für Fortgeschrittene. Zur Entspannung gibt es im Anschluss eine exklusive Stadtführung unseres estländischen Gastwissenschaftlers, der uns die schönsten Ecken und wildesten Geschichten von Tallinn näher bringt.

 

An Ende dieses Abenteuers bekommen wir auch alle ein Zeugnis. 279 Seemeilen voll von neuen Lektionen, interessanten Gesprächspartnerinnen und -partner, Projektideen und vor allem keiner Seekrankheit liegen hinter mir. Und die Erkenntnis, dass ein Team auf einem Segelschiff dank der völlig anderen Herausforderung sehr eng zusammenwächst.

PS: Mein Gepäck kommt drei Tage nach mir auch wieder wohlbehütet zu Hause an. Es hatte die ganze Zeit in einer Ecke am Berliner Flughafen verbracht… Meine Reise war deutlich spannender!

 

© Fraunhofer IIS/Nadine Lang

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