Phänotypisierungsroboter im Feldeinsatz

Die globale Erderwärmung und der steigende Nahrungsbedarf bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung sind zentrale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Züchtung neuer, angepasster Sorten von Kulturpflanzen ist  hierbei ein wesentlicher Schlüsselfaktor. Der noch recht junge Forschungszweig der digitalen Phänotypisierung beschäftigt sich mit der zerstörungsfreien Merkmalserkennung, die eine angepasste Züchtung von Kulturpflanzen ermöglicht.

 

Gemächlich zieht das Feldfahrzeug seine Linien im dicht bepflanzten Weizenfeld. Aufgrund seines eigentümlichen Aussehens würde man solch ein Fahrzeug eher bei der Erforschung entlegener Planeten vermuten. Das Gefährt ist so konstruiert, dass es bei der Überquerung der zarten Nutzpflanzen möglichst keine Schäden anrichtet. Auf dem Roboterfahrzeug befinden sich unterschiedliche Sensoren, die den Pflanzen auf dem Feld buchstäblich beim Wachsen zusehen.

Mit dem Einsatz solcher Prototypen ist Forschenden des Fraunhofer IIS und seinen Industriepartnern, wie z. B. den Unternehmen PhenoKey, Strube und Saatzucht Streng & Engelen, ein wichtiger Schritt auf dem Gebiet der Phänotypisierungsforschung gelungen: »So können wir das Pflanzenwachstum in der natürlichen Umgebung im Detail beobachten. Das ermöglicht uns den Zugang zu objektiven und unverfälschten Daten«, sagt Dr. Stefan Gerth, Leiter der Gruppe »Innovatives Systemdesign« am Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT.

Menschen sind keine Roboter

Das Hauptmerkmal für die Sortenselektion in der Züchtung sind nach wie vor die Erträge einer Pflanzenart. Bislang wurden unsere modernen Sorten in erster Linie aufgrund optisch nachweis- barer, oberirdischer Merkmale von Zuchtexperten ausgewählt. Wegen der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung ist diese Vorgehensweise aber ungenau und schlecht reproduzierbar.

In der Weizenzucht beispielsweise werden für gewöhnlich die Höhe der Halme und die Anzahl der Ähren bewertet. Diese Merkmale korrelieren zwar mit dem Ertrag der Sorte, werden jedoch nur deshalb erhoben, da bisher keine technische Lösung zur Bestimmung der exakten Biomasse mittels zerstörungsfreier Prüfung existiert. So erfolgt die Messung der Biomasse bisher nur indirekt durch die Messung der korrelierten Merkmale.

Bei der Zuckerrübenzucht stehen dagegen ganz andere Pflanzenmerkmale im Mittelpunkt der Phänotypisierungsforschung. Hier wird ein gleichmäßiger Feldaufgang angestrebt, um bei der Ernte Zuckerrüben ungefähr gleicher Größe zu erhalten. Weiterhin sind Blattflächen, -formen und -orientierung relevant für Wachstumsverhalten und Zuckergehalt.

Multimodalität verbessert Daten

Eine Parzelle mit Weizengetreide im Testfeld besteht aus mehreren sogenannten Plots mit einer Breite zwischen 1,25 und 1,5 Meter. Momentan wird die Vergleichbarkeit der Einzelmessungen vor allem durch optische, volumetrische Messungen mit Technologien wie LiDAR und Laserlinienscanning bestimmt. »Abhängig von der Dichte der Parzelle – also der Anzahl von Halmen und Ähren innerhalb des Plots – ist der Zusammenhang zwischen Biomasse, also Ertrag und Volumen, jedoch für beide optischen Methoden sehr ungenau. Optische Methoden können – ähnlich wie ein Züchtungsexperte – die Höhe der Halme bestimmen«, erklärt Gerth.

»Zusammen mit dem zurückgelegten Weg ergibt sich das Volumen des Plots. Aber sobald sich das Blätterdach schließt, gibt es keine Informationen über die vorhandene Realdichte. Auch die Qualität der Ähren kann aufgrund der Verdeckung nicht mehr optisch bestimmt werden.«

An dieser Stelle kommt Röntgentechnik zum Einsatz: Mit ihrer Hilfe können auch unsichtbare Bereiche unter dem Blätterdach sichtbar gemacht werden. Aber nicht nur das: Mit Röntgentechnik sind wir in der Lage, die Dichte und somit die genaue Biomasse der Halme und Ähren zu identifizieren. In Verbindung mit den optisch erhobenen Bilddaten ergeben sich äußerst aussagekräftige Daten für die Sortenbestimmung.

3D-Modellierung zur präzisen Blattanalyse

Auch in der Zuckerrübenzucht ist die digitale Phänotypisierung der Pflanzen in Testparzellen ein nicht mehr wegzudenkendes Werkzeug für den Züchter. Da die eigentliche Rübe unsichtbar im Boden wächst, stehen hier die Blätter der Pflanze im Zentrum des Interesses. Diese sind als »Sonnenkollektoren« dafür zuständig, das Sonnenlicht möglichst effizient »einzusammeln« und u. a. für die Zuckerproduktion nutzbar zu machen. Zu viel Sonnenlicht ausgesetzt zu sein bedeutet andererseits Stress für die Pflanze. Daher sind die Form und die Ausrichtung der Blätter wichtige Kriterien, wenn es darum geht, eine Sorte zu beurteilen.

»Um die Fläche und Form eines Blattes möglichst exakt zu bestimmen, ist eine dreidimensionale Erfassung unerlässlich«, erklärt Oliver Scholz, Gruppenleiter in der Abteilung Berührungslose Mess- und Prüfsysteme am EZRT. »Hierfür kommen je nach Umgebungsbedingungen unter- schiedliche Verfahren zum Einsatz, die an die jeweilige Situation angepasst sind und optimale Ausgangsdaten für die nachfolgende Analyse bereitstellen.«

 

Die so erfassten dreidimensionalen Daten jedes Blattes dienen als Ausgangsbasis für ein digitales Modell des Blattes, das die für den Züchter wesentlichen Eigenschaften repräsentiert. So werden Hunderttausende von Datenpunkten pro Blatt in einige wenige Parameter komprimiert, die trotzdem das Blatt präzise charakterisieren. Dies ist vergleichbar mit der mp3-Kodierung von Audiodaten, bei der eine große Datenmenge auf die Essenz reduziert wird. Die so gewonnene Blattbeschreibung ermöglicht dem Züchter detaillierte Einsichten in das Wachstum seiner Sorten und gibt ihm eine fundierte Entscheidungsgrundlage für die weitere Zucht.

Mensch und Maschine im Zusammenspiel

Der wesentliche Mehrwert bei der Phänotypisierung mittels zerstörungsfrei messender Prüfroboter besteht in der Objektivität der digitalen Messung und der damit verbundenen Wiederholbarkeit der Ergebnisse. Der Roboter ist als Entscheidungswerkzeug für den Menschen zu betrachten, indem er dem Züchter eine präzise Datengrundlage für die Züchtungsplanung liefert. Nichtsdestotrotz streben wir einen höheren Automatisierungsgrad an: In den nächsten Jahren schon sollen Feldfahrzeuge in der Lage sein, autonom auf dem Feld zu navigieren und den Pflanzenbestand gezielt zu erfassen und die so gesammelten Daten auszuwerten.