Beim Thema 5G denken vermutlich viele Menschen zunächst an das Smartphone, an größere Bandbreite und kürzere Reaktionszeiten. Tatsächlich eröffnet 5G aber vor allem für professionelle Mobilfunkanwendungen wie in der Industrie ganz neue Möglichkeiten. Maschinen, Steuerungsgeräte, Kameras oder Sensoren werden sich künftig mit 5G noch besser als bisher miteinander verknüpfen lassen, die Produktion wird stärker automatisiert und vor allem flexibler gemacht. Weit weniger bekannt ist, dass sich der 5G-Standard noch für eine ganz andere industrielle Anwendung eignet – die präzise Lokalisierung und zuverlässige Steuerung von beispielsweise autonomen Transportfahrzeugen oder Produkten im Herstellungsprozess. Das Fraunhofer IIS forscht bereits seit rund 20 Jahren an Ortungstechnologien und arbeitet schon länger mit Funkfrequenzen und -signalen, die heute beim 5G-Standard zum Einsatz kommen. Für die Forschung stehen ein 5G-Testzentrum und zwei 5G-Testbeds zur Verfügung. Hersteller von 5G-Technik, Netzbetreiber und vor allem Unternehmen können hier zusammen mit den Fraunhofer-Fachleuten Anwendungen, Konzepte und Neuentwicklungen testen. Die Fraunhofer-IIS-Expertise hat weltweit Strahlkraft: Das zeigte sich bei der internationalen Fachtagung »5G Connect«, die das Institut am 29. September 2022 zum ersten Mal veranstaltet hat.
Im Nürnberger Testzentrum kamen rund 100 Fachleute zusammen, um sich über den aktuellen Forschungsstand zu den industriellen 5G-Anwendungen zu informieren, darunter Fachleute aus den USA, Kanada und vielen europäischen Ländern. Per Online-Plattform waren circa 100 weitere internationale Teilnehmende zugeschaltet. Eines der Highlights der Veranstaltung war die 5G-Ortung eines Flurförderzeugs in einem 5G-Campusnetz. »Das Gefährt ist mit einem handelsüblichen 5G-Modem ausgestattet«, sagt Karin Loidl, Expertin für Lokalisierung und Vernetzung, die die Fachtagung organisiert hat. »Aber unser lokales 5G-Netz haben wir mit Algorithmen erweitert, um das Fahrzeug in realer Umgebung auf etwa 50 Zentimeter genau lokalisieren zu können. Der Entwicklungsschritt dahin ist enorm gewesen«, betont sie, »denn um Fahrzeuge per Funk zu orten, ist normalerweise zusätzliche Technik nötig, die eigens installiert und vernetzt werden muss. Wir hingegen setzen den 5G-Standard ein, der Kommunikation und Lokalisierung in einem System verbindet und künftig fast überall, auch in den meisten Werkhallen, vorhanden sein wird. Wir kommen damit ganz ohne zusätzliche Technik aus; abgesehen natürlich von den Laserscannern an Bord, die helfen, Kollisionen zu vermeiden.« Entsprechend begeistert seien die Gäste der »5G Connect« gewesen, als das kleine Fahrzeug durch die Halle fuhr.
Der 5G-Standard wird seit gut zwei Jahren weltweit ausgerollt. Dass das Fraunhofer IIS bereits jetzt eine so leistungsfähige Lokalisierung für den Einsatz in Unternehmenslösungen präsentieren konnte, liegt vor allem an der langjährigen Entwicklung der Algorithmen, die die Funksignale verarbeiten. »Fabriken und Produktionsumgebungen stecken voller Hindernisse und Störquellen, die die Signalverarbeitung erschweren«, meint Maximilian Kasparek, Experte für die Entwicklung der Algorithmen. Dort gebe es viel Metall, das Funksignale sowohl reflektieren als auch abschatten kann. Zudem verändere sich die Umgebung häufig, weil Material produktionsnah zwischengelagert wird. Für die Lokalisierung ist das ein enorm herausforderndes Umfeld. Die am Fraunhofer IIS entwickelten Algorithmen sind in der Lage, die 5G-Signale trotz Störungen richtig zu interpretieren. Doch 5G ist nicht alles. Am Fraunhofer IIS gibt es Expertise in ganz verschiedenen Funkstandards und Methoden. Diese werden gemeinsam bei Fahrzeugen eingesetzt, die sowohl in Gebäuden als auch draußen auf dem Hof unterwegs sind. So wird 5G beispielsweise mit der Satelliten-Navigation kombiniert. »Wir nutzen u. a. die Signale des europäischen Satellitensystems Galileo«, verrät Jan Niklas Bauer, der für die Umsetzung der Lokalisierung im 5G-Bavaria-Testbed »Industrie 4.0« in Nürnberg zuständig ist. »Damit können Anwenderinnen und Anwender nicht nur nahtlos zwischen Satelliten- und 5G-Navigation wechseln, die Technologien können sich auch gegenseitig unterstützen, um die Lokalisierung insgesamt zuverlässiger zu machen.«
Eine Stärke des Nürnberger 5G-Testbeds besteht darin, dass Interessentinnen und Interessenten hier Technologien unabhängig von Herstellern testen können. »Wir bieten Tests in ganz verschiedenen Systemumgebungen an«, sagt Karin Loidl. »So können wir Anwendungen neutral bewerten. Unsere Algorithmen, z.B. zur Lokalisierung, orientieren sich auf diese Weise nicht an bestimmten Anbietern. Jeder kann von den Ergebnissen profitieren und damit neue Angebote rund um 5G mit uns entwickeln.« Da Karin Loidl und ihre Kolleginnen und Kollegen auch im internationalen 5G-Standardisierungs-Gremium 3GPP mitarbeiten, bietet das Fraunhofer IIS Informationen aus erster Hand. »Wir können damit recht gut einschätzen, welche Lösung für unsere Industriepartner sinnvoll ist oder welche Hürden sich auftun könnten.«