Der Einzug von IoT in der Industrie

14. März 2018

Im Internet der Dinge (IoT) suchen Unternehmen vor allem nach nachrüstbaren und sicheren Lösungen für ihre Anwendungen. Im Interview erklärt Dr. Günter Rohmer, Leiter des Bereichs Lokalisierung und Vernetzung, was für das IoT im industriellen Umfeld wichtig ist und was die nächsten Meilensteine auf dem Weg in die Industrie 4.0 sind.

 

Der vielbesprochene digitale Wandel in der Industrie vollzieht sich nicht nur beim Aufbau komplett neuer Produktionsstätten, für die vollständig automatisierte Digitalisierungsszenarien konzipiert werden. Digitaler Wandel findet gerade auch in bestehenden Produktionsstätten und Industrie- und Logistikumgebungen statt, bei dem vorhandenes Spezial-Know-how der Beschäftigten in der Produktion genutzt wird, um es digital für vernetzte Prozesse bereitzustellen. Was jedoch bis heute vielen Unternehmen fehlt, sind Technologien, die eine sukzessive Anbindung der Produktion an digitale Prozessschritte und eine nachfolgende Erweiterung möglich machen.

Vielfach beklagen vor allem die hochspezialisierten Unternehmen des Mittelstandes das Fehlen geeigneter, nachrüstbarer und sicherer Technologien und Lösungen. Das hier möglichst schnell Lösungen gefordert sind, um die Technologienation Deutschland und Europa nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen, liegt auf der Hand.

Wir nehmen diese Herausforderung im IoT-Zeitalter an. Am Standort in Nürnberg bündeln wir unter der Leitung von Dr. Günter Rohmer die Entwicklungs- und Technologieangebote für Anwendungen im Industriellen Internet der Dinge (IIoT). Mit mehr als 170 Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern, Ingenieurinnen und Ingenieuren vor Ort arbeiten die Teams um Rohmer an praktischen, nachrüstbaren Lokalisierungs-, Identifikations- und Vernetzungstechnologien für sogenannte kognitive Sensorsysteme – die Schlüsselkomponenten für industrielle und nichtindustrielle IoT-Anwendungen. Vernetzte Sensoren sowie Edge-Computing-Entwicklungen, die genau dort Daten aufnehmen, analysieren und bereitstellen, wo sie gebraucht werden und sie nicht sofort in die Cloud lenken, sind entscheidende Themen, die das Portfolio des Standorts in Nürnberg abrunden. Im Test- und Anwendungszentrum L.I.N.K. bieten wir zudem Kunden und Partnern ideale Voraussetzungen, um praxisnah neue kognitive Lösungen für Produktion und Logistik zu entwickeln und zu testen.


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© Fraunhofer IIS/Kurt Fuchs
Mit der drahtlosen MIOTY-Technologie können Sensordaten über bis zu 15 Kilometer übertragen werden.
© Fraunhofer IIS
Test- und Anwendungszentrum L.I.N.K. am Standort Nürnberg.

Herr Dr. Rohmer, mit welchen Entwicklungsanfragen kommen derzeit die
Unternehmen auf Sie zu?


Günter Rohmer: Viele Anfragen aus der Industrie drehen sich um Technologien, die nachrüstbar und leicht zu installieren in bestehende Anlagen integriert werden können. Dabei geht es im industriellen Umfeld nicht um ein Datensammeln im Sinne von Big Data, um so viele Daten wie nur möglich zu generieren, zu sammeln und dann in der Cloud zu verarbeiten. Im Industriellen Internet der Dinge beschäftigen sich die Unternehmen mit der Frage, die richtigen Daten an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit aufzunehmen. Hierzu benötigt man erste Entscheidungs- bzw. Analyseschritte schon bei der Datenaufnahme, um Latenzen klein und die Daten im Unternehmen zu halten.

 

Welches technische Know-how ist in IIoT-Anwendungen vor allem gefragt?


Günter Rohmer: Viele Daten sind ohne genaue Angaben von Ort, Zeit und Produktionslos häufig in der Kommunikation oder Vernetzung nachgeschalteter Prozesse nicht valide. Daher sind Ortungstechnologien von entscheidender Bedeutung. Wir hier am Standort in Nürnberg bieten Lokalisierungs-Know-how von der satellitengestützten Ortung bis hin zur präzisen Lokalisierung im Indoor-Bereich. Diese Kompetenz sorgt beispielsweise dafür, dass wir durch die Kombination verschiedener Technologien in Sensorfusionsverfahren Assistenzsysteme für automatisierte Transportsysteme oder für ein intelligentes Werkzeugtracking anbieten können. Die Vernetzung bzw. Kommunikation erfolgt dabei beispielsweise über drahtlose Sensornetze und passt sich in vorhandene Infrastrukturen ein.


Welche Technologieansätze stehen derzeit im Vordergrund?


Günter Rohmer: Im Bereich der Zustandsüberwachung im Innen- wie Außenbereich erfahren wir derzeit eine große Nachfrage. Mit unserer MIOTY-Technologie bieten wir eine drahtlose Funkübertragung an, die Sensordaten über lange Distanzen, beispielsweise über mehrere Kilometer, robust und zuverlässig senden kann. Mit MIOTY können mehrere Hunderttausend Sensoren vernetzt und die Daten zur weiteren Auswertung und Steuerung weitergeleitet werden. Das MIOTY-Protokoll durchläuft aktuell die Standardisierung durch die ETSI – das European Telecommunications Standards Institute – für Low Power Wide Area Networks. Die entscheidenden Vorteile der MIOTY-Technologie machen sie auch für viele Cloud-Anbieter und die verschiedensten Diensteanbieter interessant. Derzeit ist sie beispielsweise Teil des Early-Adopter-Programms für Dienste in der Microsoft Cloud. Insbesondere Firmen, die sich mit vorausschauender Fernwartung beschäftigen und hier neue Anwendungen planen, nutzen das Potenzial dieser effizienten Vernetzungstechnik. Gerade in der Intralogistik und in der Montage wollen die Unternehmen stark auf digitale vernetzte Technologien für das Management und die Bereitstellung der korrekten Bauteile am Montageplatz setzen.

 

Gibt es hier auch Lösungen, die Sie bereits in der Anwendung testen?


Günter Rohmer: Bei der Vernetzung arbeiten wir auch mit drahtlosen Sensornetztechnologien. Hier können die verschiedensten Objekte wie beispielsweise Behälter mit den Sensor-Tags ausgerüstet werden. Die Sensoren vernetzen sich auf Basis unserer s-net Technologie selbstorganisierend in sogenannten Multi-Hop-Meshed-Netzen:

Fällt ein Übertragungsweg oder -partner aus oder sind Verbindungen zu schwach, sucht der intelligente Sensor-Tag den nächstverfügbaren Partner. Im Sinne eines sogenannten intelligenten Objekts können auf dem Sensor-Tag bereits auch eigene Entscheidungen oder Analysen durchgeführt werden. Vorreiteranwendung beim Einsatz solcher Sensornetze ist das intelligente Behältermanagement in der Intra- und Interlogistik. Ein praktisches Beispiel, das bereits realisiert wurde, sind mobile Kommissioniersysteme – hier können die Behälter flexibel angeordnet werden. Durch den intelligenten Sensor-Tag ist stets sichergestellt, dass das Gesamtsystem den Werker immer an den korrekten Behälter für die jeweiligen Montageteile führt. Fügt man eine weitere Technologie wie z. B. die induktive Nahefeldortung hinzu, kann auch der Füllstand und die genaue Art des Inhalts detektiert werden. Der Behälter kann somit selbstständig den Nachfüllvorgang anstoßen.


Gibt es darüber hinaus noch weitere Beispiele, in denen Sie Ihre Technologien derzeit erproben und in die Anwendung bringen?


Günter Rohmer: Ja, gerade wir als spezialisierter Bereich für Lokalisierungstechnologien zur präzisen Positionsbestimmung erarbeiten und entwickeln derzeit praxisnahe Lösungen, um Maschinen-, Objekt- und Fahrzeugbewegungen so genau, wie es die Anwendung fordert, aufzunehmen und in geeigneter Form für die Vernetzung und Analyse mit weiteren Prozessen anzubieten. Hierzu gehört die effiziente Planung der Fuhrparks in und außerhalb des Gebäudes. Aber auch zur schnellen und korrekten Anlieferung von Montageteilen oder Maschinen rüsten wir Flurförderzeuge mit unseren Ortungstechnologien aus. Beispielsweise können dank der autarken WLAN-Lokalisierung mit der Fraunhofer-IIS-Technologie awiloc Gabelstapler geortet werden. So lassen sich die Verfügbarkeit der geeigneten Förderzeuge und eine optimierte und sichere Routenführung in der Produktion und Logistik sicher gewährleisten.

Aber auch hier gibt es Alternativansätze: Mit UltraWideBand-Technologie kann der Gabelstapler palettengenau an die korrekte Position navigiert werden – kombiniert mit optischen Verfahren wie Infrarot, Video und vielen weiteren. Hier ist uns eines wichtig: bei der Umsetzung der digitalen Technologie eine genaue Anpassung an die jeweilige Anwendung zu schaffen, Erweiterungspotenzial anzubieten, aber nicht von vornherein Anwendungen durch zu viel Technologie zu überfrachten.

 

Sie haben jetzt bereits mehrere Szenarien aus technologischer Sicht vorgestellt. Gibt es hierzu konkrete Forschungs- oder Pilotprojekte?


Günter Rohmer: Wir haben dieses Jahr bereits mehrere Projekte zusammen mit Industriepartnern realisiert und das Potenzial von vernetzten digitalen Assistenzsystemen live in der Montage getestet. Zusammen mit der BMW AG wurden mehrere Arbeitsplätze, an denen die Produktionsmitarbeiter mit handgeführten Schraubern arbeiten, mit unserer Vernetzungsbox für intelligentes Werkzeugtracking ausgestattet. In einer Pilotstrecke im Werk Regensburg erfolgte die Anbindung in die vorhandene Infrastruktur. Der Fertigungsmitarbeiter erhält über eine Anzeige am Schrauber die Informationen, ob alle Vorgänge ausgeführt wurden. Weitere Ausbaustufen bis hin zu einer transparenten Nachweisführung für sicherheitsrelevante Schritte sind denkbar.

Derzeit arbeiten wir auch zusammen mit Siemens in Forschungs- und Entwicklungsprojekten an der Integration von Lokalisierungs- und Vernetzungstechnologien in der Motormontage. Darüber hinaus haben wir bereits viele Industriepartner, die in den unterschiedlichsten Szenarien auf unsere Technologien für kognitive Sensoren setzen.


Herr Dr. Rohmer, wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen, was sind die nächsten wichtigen Meilensteine auf einem erfolgreichen Weg in die Industrie 4.0 aus Sicht der Technologieentwicklung?


Günter Rohmer: Wir stellen gerade in unseren Kundengesprächen und in den vielfältigen Anwenderworkshops und Foren fest, dass die Unternehmen sich durchaus mit der notwendigen Digitalisierung ihrer Produktionsabläufe auseinandersetzen. Vielfach vorhandenes Wissen zu generieren, teildigitalisierte Prozesse zu etablieren und die Überzeugung, hier eine erhebliche Effizienzsteigerung erreichen zu können, sind in den Führungs- und Planungsabteilungen der Unternehmen, ob klein, mittel oder Großkonzern, klares Ziel für die nächsten fünf Jahre. Daher denke ich, dass wir mit dem Ansatz miteinander kombinierbarer Technologien, die vergleichbar mit dem menschlichen Wahrnehmungssystem, an der richtigen Stelle die wichtigen Daten aufnehmen, auswählen, transparent machen und dann zurück in den Prozess spielen, die wichtigste Voraussetzung geschaffen haben. Dies kann dann in halbautomatischen oder vollautomatisierten vernetzten Umgebungen umgesetzt werden und sich in neuen Dienstleistungen manifestieren. Ohne diese technologische Basis findet das Internet der Dinge im Industriebereich noch lange keine praktische Anwendung und viele Ideen über neue Services, verteiltes Arbeiten und Geschäftsabwicklung in der industriellen Cloud verschieben sich in der Umsetzung zeitlich nach hinten.


Was planen Ihre Teams für 2018?


Günter Rohmer: Wir werden 2018 konsequent die begonnenen Arbeiten mit Technologien zur Ortung und Vernetzung weiter vorantreiben. Hierzu werden wir an neuen Beispielen den Einsatz kognitiver Systeme in der Produktion und Logistik vorstellen. Zusammen mit unseren Aktivitäten in der Standardisierung für industrielle Kommunikationssysteme rund um MIOTY und unsere Aktivitäten zu 5G bieten sich hier viele Anknüpfungspunkte, um gemeinsam mit unseren Industriepartnern das Industrielle Internet der Dinge Realität werden zu lassen.