Was hat künstliche Intelligenz mit Bierschaum zu tun? Segmentierung, Kompression und Visualisierung von Daten der 4D-Tomographie im Projekt KI4D4E

5. Februar 2024 | Prof. Dr. Tomas Sauer erklärt, wie große Datenmengen von Synchrotron-Aufnahmen nutzbar gemacht werden

Bei der 4D-Tomographie von Objekten mithilfe von Synchrotrons entstehen brillante zeitaufgelöste Aufnahmen, die hinsichtlich Qualität und Auflösung Grenzen verschieben – und deren Größe jede herkömmliche Speicherkapazität sprengt. Diese Daten in eine breite Anwendbarkeit zu überführen, ist das Ziel des Projektes KI4D4E: Ein KI-basiertes Framework für die Visualisierung und Auswertung der massiven Datenmengen der 4D-Tomographie für Endanwender von Synchrotron-Beamlines.

Dafür werden KI-gestützte Methoden genutzt, die in Abhängigkeit der Fragestellung dabei helfen, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und somit die Größe der Daten um ein Vielfaches zu verringern. Prof. Dr. Tomas Sauer forscht in Doppelfunktion für die Universität Passau und das Fraunhofer IIS an diesem Verfahren. Er stellt dafür beispielhaft eine Frage, die deutsche Bierliebhaber wohl mit Kopfschütteln zurücklässt: Wie trenne ich den Schaum vom Bier?

Was ist 4D-Tomographie und worin liegen ihre Vorteile?

Prof. Dr. Tomas Sauer: 4D-Tomographie heißt schlichtweg »zeitaufgelöste 3D-Tomographie«. Konkret beinhaltet die 4D-Tomographie die Erzeugung einer Aufnahme, die nicht nur aus zweidimensionalen Bildern besteht, sondern aus dreidimensionalen Objekten. Die vierte Dimension ist die Zeit. Diese kann auf einer sehr langen Skala zeitaufgelöst sein, oder auch auf einer sehr kurzen Zeitskala, z. B. beim Zerfallsprozess eines Schaums. Speziell geht es in diesem Projekt um Aufnahmen, die an Synchrotron-Einrichtungen entstehen. Das sind keine normalen CT-Labordaten, sondern weitaus höher aufgelöste und allgemein von besserer Qualität. Die Herausforderung dabei: Durch die zeitlich und räumlich sehr hohe Auflösung entstehen schnell riesige Datenmengen im Terabyte-Bereich, perspektivisch sogar im Petabyte-Bereich. Pro Sekunde Aufnahme fallen beim BM18-Synchrotron etwa 2GB Daten an.

Die Technologie ist nützlich für die Beobachtung aller Dinge, die sich im Laufe der Zeit verändern, und deren Veränderung mikroskopisch genau verfolgt werden soll. Die 4D-Tomographie macht es möglich, diese Veränderung bis in den Mikrometer-Bereich nachzuvollziehen, zu bewerten und zu analysieren.

 

Was ist das Problem an den erhobenen Daten?

Prof. Dr. Tomas Sauer: Neben der immensen Größe sind es vor allem drei Punkte: Bildrauschen, Artefakte, und die schiere Komplexität des Rechnens damit. Alles ist dreidimensional, und das bedeutet, mathematisch gesehen, alles bewegt sich jetzt im Rahmen der dritten Potenz statt der zweiten Potenz, es ist kubisch, nicht quadratisch. Das verdoppelt wiederum erneut die Auflösung.

Viele von den wohletablierten Methoden für KI in Bildanalyse, Segmentierung usw. funktionieren für 2D, in zahlreichen Fällen aber nicht für 3D. Das liegt vor allem daran, dass die Anzahl der Parameter bei 3D deutlich höher ist. Wenn ich mithilfe von KI-Methoden Volumina der Größe x³ betrachten will, dann steigt auch die Komplexität und die Anzahl der Parameter wesentlich. Das hat darüber hinaus den Effekt, dass auch die Anzahl der Trainingsdaten erhöht werden muss. Dort stehe ich aber gleichzeitig vor dem Problem, dass die Trainingsdaten, die ich erhebe, größer, schwieriger und teurer zu erfassen sind. Die Datensätze für ein wirklich gutes 4D-CT gibt es nicht wie Sand am Meer.

 

Wie kann KI helfen, was genau machen Sie im Projekt KI4D4E?

Prof. Dr. Tomas Sauer: Grundsätzlich kann Künstliche Intelligenz dabei helfen, die Daten nutzbarer zu machen. Dies erreichen wir mit unterschiedlichen Methoden. Eines unserer Ziele, die wir speziell als Fraunhofer-Gruppe und auch an der Uni Passau verfolgen ist die Segmentierung über die Zeit. Man stelle sich vor, da ist ein Objekt, das aus zwei Teilen besteht, die sich über eine gewisse Zeit hinweg verändern. Diese Teile möchte man trennen, um je nach Fragestellung andere Eigenschaften zu beobachten. Als Beispiel nehme ich hier gerne ein Bier, bei dem ich Schaum von Flüssigkeit trennen will, um beispielsweise den Zerfallsprozess des Schaums zu analysieren. Damit beschäftigt sich die Segmentierung.

Gleichzeitig ist Segmentierung wiederum Teil der Kompression: Wenn ich aus einer Messung nur das raushole, was mich interessiert, dann sind das eventuell nur zehn Prozent des Ganzen. So habe ich schnell die Datenmenge erheblich verringert, ohne viel tun zu müssen.

Für beides sind KI-Methoden nötig. Bleiben wir als Beispiel beim Bierschaum. Im Gedankenexperiment möchte ich meine Kompressionsverfahren speziell auf den Bierschaum anpassen. Anstatt nun einen handgebauten Algorithmus zu verwenden, den ich für Orangensaft oder Limonade jedes Mal neu aufsetzen müsste, nutze ich ein Verfahren, das sich aus den vorhandenen Daten automatisch selbst parametrisiert und somit vielseitig anwendbar ist.

 

Spielt auch die Visualisierung der Daten eine Rolle?

Prof. Dr. Tomas Sauer: Ein bisschen Visualisierung haben wir auch mit drin – ohne geht es nicht, weil sonst schwer nachzuvollziehen ist, was man eigentlich mit den Daten angestellt hat. Wir haben für große 3D-Datensätze bereits eigene Visualisierungstools und werden uns sicherlich noch überlegen müssen, wie wir diese für 4D anpassen können. Wichtig ist das natürlich auch für den Endanwender, der die Möglichkeit haben möchte, mit den Daten zu interagieren. Vielleicht möchte er die 3D-Modelle aus verschiedenen Perspektiven sehen. Ich muss also die Möglichkeit bieten, beispielsweise den Betrachtungswinkel anzupassen, Schnitte zu setzen oder auch den Kontrast zu verändern. Das bisschen kann also durchaus Arbeit machen.

 

Wie weit ist der Projektfortschritt, wann geht es potenziell in die Anwendung?

Prof. Dr. Tomas Sauer: Das Projekt hat gerade erst begonnen. Aktuell arbeiten alle beteiligten Gruppen daran, Daten zu generieren, diese zu analysieren und die verschiedenen Methoden darauf anzuwenden. Es wird sicherlich noch ein Jahr dauern, bis wir erste Ergebnisse vorlegen können. Die Technologie ist ziemliches Neuland.

Wir sprechen hier auch dezidiert von einem Forschungsprojekt, keinem reinen Anwendungsprojekt. Hier sollen Dinge möglich gemacht werden, die es zuvor so noch nicht gegeben hat.

 

In welchen Bereichen wird die Technologie zur Anwendung kommen? Wie profitieren Endanwender?

Idealerweise profitieren alle Anwender, die sich mit zeitaufgelösten CT-Prozessen beschäftigen, also beispielsweise diese bei einem Synchrotron in Auftrag geben. Materialwissenschaften, Batterieentwicklung, Biologie und Pharmazie können neue Erkenntnisse gewinnen. Im Bereich Biologie können beispielsweise Zellwachsprozesse mit größter Präzision analysiert werden. Die Anwendungen sind vielfältig.

 

Soll die Technologie als Endprodukt für den Anwender selbst geliefert werden, oder treten Sie als Dienstleister auf?

Prof. Dr. Tomas Sauer: Manchmal würde sich ein Kit anbieten, mit dem der Anwender selbst arbeiten kann, manchmal sind wir der Dienstleister – je nach Anwendungsfall. Wir nehmen wieder das Beispiel Schaum: Wenn ich nur wissen möchte, wie lange dauert es, bis der Schaum auf meinem Bier zerfällt, also ob es noch frisch beim Kunden ankommt, dann kann man sich für die Antwort darauf an uns als Dienstleister wenden. Andererseits möchte ein Museum vielleicht interaktiv ausstellen, wie sich ein bestimmtes Material unter bestimmten Bedingungen verhält. Dort würden wir ein Kit liefern, bei dem der Kunde mit der Technologie interagieren kann. Letztlich können wir das genau auf die Wünsche des jeweiligen Endanwenders anpassen.

 

Wie sieht die Vision für das Projekt aus?

Prof. Dr. Tomas Sauer: Wenn wir die Datenverarbeitung in diesem Bereich niederschwelliger machen können, nicht mehr einen Großrechner und kostspielige Software dafür brauchen, ist das ein extremer Gewinn. Unsere Aufgabe ist es, viel mehr Anwendern und Industriezweigen die sorgenfreie Nutzung dieser Technologien zu ermöglichen. Ohne technische Hemmschwellen bei der Verarbeitung, bei der Nachbearbeitung, bei der Visualisierung, bei der Informationsextraktion auf die Daten zugreifen zu können – das ist unser Ziel. Kurz gesagt: 4D-CT als Werkzeug im Tagesgeschäft.

 

Beitrag von Lucas Westermann, Redaktion Fraunhofer IIS Magazin  

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