eResourcing: Energiekostenoptimierung durch eResourcing - Sparsam durch den Tunnel

21.10.2022 | Interview mit Dr. Andreas Bärmann und Frederik Nöth, Referent für Technik und Innovation bei der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg über Energieeffizienz im ÖPNV.

KI bei fahrerassistenzsystemen
© den-belitsky - iStock.com

Die umfangreiche Analyse von Fahrt- und Streckendaten kann den Energieverbrauch von U-Bahnen nennenswert reduzieren. Das zeigt ein Kooperationsprojekt der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg, des Fraunhofer IIS und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Im Interview erzählen Dr. Andreas Bärmann, Experte für Mathematische Optimierung am Fraunhofer IIS, und Frederik Nöth, Referent für Technik und Innovation bei der VAG, wie sich mithilfe des eResourcings die verfügbaren Daten nutzen lassen, um den Energieverbrauch im U-Bahn-System mittels mathematischer Modelle zu optimieren.
  

Für gewöhnlich macht man Fahrzeuge sparsamer, indem man bessere Motoren oder effizientere Technik einbaut. Sie arbeiten daran, den Stromverbrauch und die Energiekosten der Nürnberger U-Bahn durch Mathematik, Algorithmen und die Analyse von Daten zu senken. Wie kann man sich das vorstellen?

Frederik Nöth: Unser Stromverbrauch und die Kosten hängen von mehreren Einflussgrößen ab. Ein Faktor sind die sogenannten Spitzenlasten – der maximale Stromverbrauch zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb eines Tages. Eine hohe Spitzenlast wird dann erreicht, wenn gleichzeitig viele U-Bahnen losfahren. Anhand der Spitzenlast bestimmen die Energieversorger den Leistungspreis – selbst wenn dieses Maximum nur sehr selten erreicht wird. Je höher der Spitzenlastwert ist, desto teurer wird es. Für uns ist es daher wichtig, die Spitzenlast zu senken. Das geht, wenn wir das Anfahren und Bremsen der U-Bahnen besser aufeinander abstimmen. Dabei können bremsende Züge elektrische Energie direkt an gleichzeitig anfahrende Züge abgeben. In unserem Projekt haben wir die Fahrdaten der U-Bahnen über einen längeren Zeitraum ausgewertet. Der Energieverbrauch hängt, wie wir gesehen haben, auch davon ab, wie schnell die Züge zwischen den Haltestellen fahren. Die Züge sind mit einer so genannten Fahrtzeitreserve unterwegs und müssen nicht immer die erlaubte Höchstgeschwindigkeit fahren, um pünktlich anzukommen. Durch eine Reduzierung der "Reisegeschwindigkeit" können wir deutlich Energie einsparen. Es gibt dabei viele Einflussgrößen zu berücksichtigen. Wir analysieren auch die Messwerte von Sensoren, die das Beschleunigungs- und Bremsverhalten der Fahrzeuge aufzeichnen. Insgesamt rechnen wir mit jährlichen Einsparungen in Höhe eines unteren sechsstelligen Betrages – und das, ohne in neue Fahrzeugtechnik investieren zu müssen.

Was genau machen Sie mit den Daten?

Andreas Bärmann: Letztlich hat unser gemeinsames Forschungsprojekt das Ziel, den Fahrplan der Nürnberger U-Bahn durch die umfassende Datenanalyse und durch mathematische Modellrechnungen so zu optimieren, dass durch eine energieeffizientere Fahrweise und Koordination von bremsenden und anfahrenden Zügen Strom gespart wird, was auch die Umwelt und das Klima dauerhaft entlastet. Voraussetzung dafür ist, dass wir Daten von hoher Qualität aufnehmen, denn von ihnen hängt ab, wie gut die Ausgabe der Modelle ist. Wir arbeiten in einem Kreislauf, in dem wir zunächst Daten erheben, diese in ein mathematisches Modell einspielen, mit dem wir den Fahrplan anpassen. Durch Testfahrten mit den U-Bahnen können wir messen, wie sich die Veränderungen auswirken. Die neuen Messdaten spielen wir dann wieder in die Modelle ein. Ganz im Sinne des eResourcings durchlaufen wir mehrfach einen Datenlebenszyklus, wodurch wir das System schrittweise optimieren.

 

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Wie funktioniert diese Optimierung konkret?

Frederik Nöth: Zu Beginn des Projekts im Jahr 2017 hatten wir das ganze System für den automatischen U-Bahn-Betrieb noch relativ einfach modelliert. Im Blick hatten wir naheliegende Größen wie die Abfahrtszeiten oder die Abstände zwischen den Bahnhöfen. Auch waren wir davon ausgegangen, dass Verzögerungen beim Ein- und Aussteigen der Fahrgäste das System besonders stark beeinflussen und den Stromverbrauch in die Höhe treiben, wenn Züge schneller fahren müssen, um die Verzögerungen auszugleichen. Aus den ersten Modellierungen und Testfahrten haben wir gelernt, dass beispielsweise die Regelung der Zugfolge einen großen Einfluss hat: So nutzen in Nürnberg zwei automatische U-Bahn-Linien im Innenstadtbereich sechs Bahnhöfe und die dazugehörigen Gleise gemeinsam, es fahren also abwechselnd Züge beider Linien. Die Reihenfolge und der Abstand zwischen den einzelnen Fahrten der beiden automatischen Linien sind genau festgelegt und sollen sich möglichst nicht ändern. Entsprechend groß ist der Einfluss der automatischen Zugfolgeregelung auf das gesamte System. Man muss sich vorstellen, dass es dabei immer um wenige Sekunden geht. Immerhin verkehren die Züge tagsüber normalerweise im 100-Sekunden-Takt.

Andreas Bärmann: Es kommen noch viele andere Parameter und Einflussgrößen hinzu, deren Bedeutung wir erst im Lauf des Projekts erkannt haben. Wir haben es hier mit einem dynamischen System zu tun, das ständig in Bewegung ist. Im dichten Takt sind über 30 Züge auf den automatischen U-Bahn-Linien U2 und U3 gleichzeitig unterwegs. Eine Störung zieht viele Veränderungen nach sich. Verzögert sich die Abfahrt eines Zuges durch längeres Ein- und Aussteigen oder weil es eine kleine Störung im Fahrzeug oder der Infrastruktur gibt, ergibt das einen Domino-Effekt. Es ist recht anspruchsvoll, diese Dynamik in ihrer ganzen Komplexität zu verstehen und mathematisch zu beschreiben, auch wenn es zunächst trivial aussieht.

Frederik Nöth: … und auch das Streckennetz selbst ist komplex. Es gibt Streckenabschnitte mit unterschiedlichen Höchstgeschwindigkeiten in Abhängigkeit von den Abständen zwischen den Bahnhöfen, Streckenenden oder Abzweigungen. Zudem folgen die Streckenabschnitte einem Höhenprofil wie eine Berg- und Talbahn. Die Bahnhöfe liegen erhöht, damit die Züge beim Anfahren bergab rollen, was Energie und damit Strom spart. Hinzu kommt, dass die Züge an den Endhaltestellen wenden müssen, was je nach gewählter Wendefahrt unterschiedlich lange dauert. Wir haben festgestellt, dass man im Modell all diese Parameter berücksichtigen muss, um das reale Geschehen abbilden zu können.

Sie haben also kontinuierlich dazugelernt?

Andreas Bärmann: Das ist bei solchen Projekten der Normalfall. Die Testfahrten haben zunächst Ergebnisse geliefert, die weit von den vorhergesagten Stromverbräuchen der Modelle abgewichen sind, weil wir viele Parameter und ihre Wirkungen einfach nicht bedacht hatten. Jetzt sind unsere Modelle bereits deutlich näher an der Realität, so dass wir bei weiterer Entwicklung erwarten, dass sie einen bestehenden Fahrplan einen Tag im Voraus so optimieren können, dass sich im Regelbetrieb tatsächlich nennenswerte Einsparungen ergeben. Aktuell entwickeln wir das System am Fraunhofer IIS in Zusammenarbeit mit der FAU weiter.

Mit welchem Ziel?

Andreas Bärmann:  Ab diesem Jahr startet bei uns ein neues, vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt, indem wir die bestehenden Algorithmen so schnell machen wollen, dass sie den Fahrplan innerhalb von Sekunden anpassen können. Damit werden wir künftig in Echtzeit auf Störungen im Verkehrsablauf reagieren können. Das Ganze basiert auf der Methode der stochastischen Optimierung: Dabei rechnen die Algorithmen mit Wahrscheinlichkeiten. Sie erstellen einen Fahrplan, der die zu erwartenden Schwankungen bereits mit einbezieht und daher geeignete Puffer einbaut. Zudem wird der Fahrplan im Tagesverlauf stets dynamisch reoptimiert. Insgesamt wird das ganze System dadurch sehr robust. Wir gehen davon aus, dass die Modelle in etwa zwei Jahren so weit sind, dass sich der Probebetrieb planen lässt.

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