Wie kann man sich den Entwicklungsprozess solch eines Sensor-Interface ASICs vorstellen und welchen Mehrwert bietet es?
Dr. Stahl-Offergeld: Bei jedem Sensor-Interface-ASIC müssen wir zunächst verstehen, was der Kunde wirklich benötigt. Die ersten Anforderungen beruhen oft auf bestehenden diskreten Lösungen und aus Marketing-Wünschen.
Die Kunst besteht darin, das Gesamtsystem zu verstehen und eine Lösung zu erarbeiten, die die Wünsche des Kunden erfüllt, und dabei die Vorteile der CMOS-Integration, wie etwa einen niedrigen Leistungsverbrauch, nutzt. Der Vorteil des ASICs besteht generell darin, dass die Schaltung auf die Anwendung zugeschnitten ist, während man bei diskreten Lösungen versuchen muss, die Anforderungen mit bestehenden Bausteinen zu erfüllen. Die Vorteile sind ein kleinerer Bauraum, eine niedrigere Leistungsaufnahme und eine bessere Performance.
Auf welche Expertisen am Fraunhofer IIS können Sie bei der Entwicklung zurückgreifen?
Dr. Stahl-Offergeld: In der Abteilung Integrierte Sensorsysteme wurden schon viele verschiedene Sensor-Interface ASICs entwickelt und man findet spätestens auf Bereichsebene für jede Anforderung einen erfahrene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Hier punktet für mich besonders das Arbeitsklima. Auch wenn die Kollegen und Kolleginnen viel zu tun haben, nehmen sie sich immer die Zeit, über Probleme und Fragen zu diskutieren.
Welchen Herausforderungen stehen Sie bei der Entwicklung gegenüber?
Dr. Stahl-Offergeld: Die große Herausforderung beim Projekt KI-PREDICT besteht in der Komplexität des ASICs. Hier müssen sowohl auf analoger Seite neue Komponenten wie z.B. ein Analog-Digital-Wandler und ein Verstärker entwickelt werden, als auch auf digitaler Seite, wie z.B. ein RISC-V Mikrocontroller mitsamt Hardwarebeschleunigung für maschinelles Lernen.
Es ist ja so, dass der Controller mit auf dem Chip sitzt. Dieser soll spezielle Hardwarebeschleunigungsblöcke besitzen und die Feature Extraction durchführen, welche man für das maschinelle Lernen braucht.
Ziel ist, dass man nicht alle Sensormesswerte aufnimmt und dann einfach weiterschickt, sondern, dass der Chip selbst einen ganzen Messzyklus analysiert. Wenn z.B. irgendetwas gepresst oder geformt wird, dann dauert dieser ganze Zyklus ca. 20 Sekunden bis zu einer Minute. Der Chip analysiert den Messzyklus in Echtzeit, berechnet die für das Condition Monitoring notwendigen Kenngrößen und überträgt diese dann an das übergeordnete System auf dem das Condition Monitoring durchgeführt wird.
Durch die dezentrale Feature Extraktion am Sensor mit in Folge nur wenigen zu übertragenden Daten ist das Condition Monitoring leichter in die bestehende Produktion zu integrieren.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Ihren Partnern in der Corona-Zeit?
Dr. Stahl-Offergeld: Überraschend gut. Zuerst war ich sehr skeptisch, da das Projekt innerhalb des Lock-Downs gestartet ist und kein Kick-Off-Meeting stattfinden konnte, bei dem man die Partner persönlich kennen lernen konnte. Dank der Videokonferenzen, die ich früher sehr wenig genutzt habe, bekommt man trotz der Distanz das Gefühl, sich persönlich zu kennen. Mittlerweile sind die Kameras bei vielen Besprechungen eingeschaltet und vermitteln zumindest ein bisschen das Gefühl, sich zu gegenüber zu sitzen.
Herr Slatter, Ihr Unternehmen Sensitec stellt Sensorlösungen her. Bitte erläutern Sie uns kurz, was man sich darunter vorstellen kann.
Slatter: Die Sensoren von Sensitec werden u.a. dafür benutzt, um die Zustände von Maschinen zu überwachen. Heutzutage verkaufen viele Maschinenhersteller nicht mehr direkt ihre Maschinen, sondern die Verfügbarkeit der Maschine, also eine Zeit, in der die Maschine benutzt wird. Dieses Geschäftsmodell, das sich auch »verfügbarkeitsorientiertes Geschäftsmodell« nennt, beruht auf einer hohen Verfügbarkeit. Das heißt, dass die Maschine konstant läuft und nicht stillsteht aufgrund ungeplanter Reparaturen. Dafür überwachen Sensoren die Maschine.
In den letzten vier bis fünf Jahren haben wir bemerkt, dass unsere Sensoren zunehmend für diese Zustandsüberwachung von Maschinen eingesetzt werden. Dies war von unserer Seite keine direkte Verkaufsstrategie, wir wurden vom Markt und der Nachfrage regelrecht mitgezogen.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IIS als anwendungsorientiertes Forschungsinstitut aus und was macht sie so besonders? Welche Kompetenzen bringen Sie als Unternehmen ein und welche das Fraunhofer IIS?
Slatter: Zum einen besitzt das Fraunhofer IIS wertvolle Vorerfahrungen und Vorleistungen, auf denen wir aufbauen können. Das heißt, wir müssen nicht bei null anfangen. Diese Vorerfahrungen und Vorkenntnisse stammen von der anwendungsorientierten Forschung, die das Fraunhofer IIS betreibt. Dadurch hat das Fraunhofer IIS einen wertvollen Überblick, was in der Industrie gefordert wird. Zum anderen liefert das Fraunhofer IIS die physikalische Hardware, die ASICs. Diese besitzen eine Künstliche Intelligenz, die für die Signalverarbeitung und -auswertung verantwortlich ist.
Einen weiteren Beitrag, den das Fraunhofer IIS leistet, ist seine Rolle im Forschungsprojekt. Die Industriepartner haben oft eine sehr konkrete Vorstellung, was sie von dem Projekt erwarten. Die Hochschulen sind eher für die Grundlagenarbeit verantwortlich. Sie besitzen auch eine gewisse Anwendungsorientierung, diese hat jedoch ihre Grenzen. Hier kommt das Fraunhofer IIS ins Spiel, da es als Brücke zwischen Hochschulen und Industrie fungiert. Es füllt die Lücke zwischen den konkreten Erwartungen der Industriepartner und dem Grundlagenwissen der Hochschulen. Diese Funktion ist essenziell und unentbehrlich für solch ein Forschungsprojekt, daher arbeiten wir mit dem Fraunhofer IIS zusammen, seitdem es unsere Firma gibt.
Wir waren auch schon an einigen anderen Projekten vom BMBF oder vom AIF (Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von Guericke" e. V.) mit mehreren Fraunhofer-Instituten, u.a. mit dem Fraunhofer IISB und dem Fraunhofer IZM, beteiligt. Es gibt viele Schwerpunkte der Fraunhofer-Institute, die zu unseren Zielen und Technologien passen, daher blicken wir auf viele erfolgreiche Zusammenarbeiten mit Fraunhofer zurück.
Ich glaube auch, dass wir von Sensitec ebenfalls einen guten Projektpartner darstellen. Wir sind noch relativ klein, deshalb ist es für uns wichtig, dass bei dem Projekt etwas Sinnvolles herauskommt. Und im Gegensatz zu größeren Firmen sind bei uns die Kommunikationswege kurz und der Kontakt direkt.
Welchen Mehrwert versprechen Sie sich aus der Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IIS für Ihr Unternehmen?
Slatter: Auch wenn wir jetzt noch in einer recht frühen Phase des Projekts sind, sind wir sehr an einer Umsetzung in Endprodukte interessiert. Sobald das Projekt abgeschlossen ist, beginnt die Produktentwicklung. Je besser dabei die Vorarbeit in dem Projekt war, desto schneller kann man es in die industrielle Praxis übertragen. Das Fraunhofer IIS liefert eine sehr wichtige Unterstützung, weil es industrienah arbeitet. Die Mitarbeitenden wissen, welche Anforderungen es gibt, ob eine Anpassung für die Industrie nötig ist oder ob fortentwickelt werden muss. Diese anwendungsorientierte Forschung führt zu einer Beschleunigung der Entwicklung. Wir erwarten daher, dass die Produktentwicklung vielleicht nicht fünf Jahre braucht, sondern zwei bis drei Jahre. Bei früheren Projekten war es so, dass das Fraunhofer IIS geholfen hat, die Entwicklungsphase zu beschleunigen und zu verkürzen.
Ein anderer, sehr positiver Effekt aus der Zusammenarbeit in dem Projekt ist die Aufmerksamkeit und das Interesse, das man als Projektpartner in einem BMBF-Projekt erfährt. Da kommt es schon mal vor, dass Verbände und Vereine nachfragen, was wir genau machen und ob es schon ein Ergebnis gibt. Dieses Interesse ist ungewöhnlich. Viele Projekte laufen nebenbei, ohne Nachfragen oder Interesse von außen. Diese Aufmerksamkeit ist ein sehr positives Signal, und es bestätigt noch einmal, dass wir sehr gut mit dem Projekt unterwegs sind.