Die Idee, Pflanzen mit dem CT-Scanner zu untersuchen, erscheint exotisch. Tatsächlich aber ist es in einer langjährigen Kooperation des Fraunhofer IIS mit der niederländischen Firma PhenoKey gelungen, einen robusten CT-Scanner für den Einsatz in der Pflanzenzucht zu entwickeln. Im Interview erzählen IIS-Abteilungsleiter Dr. Stefan Gerth und PhenoKey-Geschäftsführer Bas van Eerdt, wie die CT-Daten Züchtern die Arbeit erleichtern und was das mit eResourcing zu tun hat.
Die Pflanzenzucht hat eine jahrhundertelange Tradition. Züchter kreuzen männliche und weibliche Pflanzen mit bestimmten Eigenschaften, um Nachkommen zu gewinnen, die mehr Ertrag bringen oder deren Früchte besser schmecken. Wie kann Ihre gemeinsam entwickelte Anlage die Pflanzenzucht noch verbessern?
Stefan Gerth: Man muss sich klar machen, dass man es bei Zucht und Forschung mit ungeheuren Mengen an Pflanzen zu tun hat. Bei Kreuzungsversuchen werden Hunderte von Samen ausgesät, in der Hoffnung, dass daraus vielversprechende Nachkommen erwachsen. Erfahrene Züchter suchen aus diesen Tausenden von Pflanzen die interessantesten Kandidaten per Augenschein aus, um mit ihnen weiterzuzüchten. Diese Begutachtung und Auswahl bezeichnen wir als Phänotypisierung. Bisher gibt es keine Möglichkeit, den unterirdischen Teil einer Pflanze zu begutachten, ohne sie aus dem Boden zu ziehen und zu zerstören – etwa Kartoffeln. Wir haben einen Computertomografen entwickelt, mit dem wir den unterirdischen Teil der Pflanzen röntgen können. Eine solche CT-Aufnahme hat eine enorm hohe Auflösung. Sie ist rund 40 Gigabyte groß. Das ist in etwa so viel, wie der Speicher eines kleinen Smartphones fasst. Eine solche Aufnahme zeigt alle Details einer Pflanze.
Inwiefern ist eine solche Aufnahme von Nutzen?
Stefan Gerth: Wir können aus den Daten eine Fülle an Informationen extrahieren – die Größe der Kartoffelknollen oder auch die Dichte des Wurzelwerks. Daraus können wir schließen, ob die Pflanze gut mit Nährstoffen oder mit Wasser versorgt ist. Die Tiefe des Wurzelwerks wiederum spielt eine Rolle, wenn es darum geht, ob Pflanzen in trockenen Böden zurechtkommen. Bislang standen solche Informationen nicht im Detail zur Verfügung, weil die Pflanzen für die Begutachtung der Knollen aus dem Boden gerissen werden mussten. Das Wurzelwerk wurde dabei zerstört. Durch regelmäßiges Röntgen können wir jetzt sogar sehen, wie sich eine Pflanze mit der Zeit entwickelt.
Herr van Eerdt, Sie nutzen die Technologie aus dem Fraunhofer IIS und bauen daraus vollautomatische Anlagen zu Phänotypisierung auf. Wer sind Ihre Kunden?
Bas van Eerdt: Das sind zum einen wissenschaftliche Labore, die ganz grundlegend die Eigenschaften von Pflanzen und ihr Zusammenspiel mit der Umwelt erforschen. Mit dem Klimawandel wird es immer wichtiger zu verstehen, wie Pflanzen auf Hitze- oder Trockenstress reagieren. Man will auch herausfinden, wie Pflanzen stresstoleranter werden. Zum anderen gehören zu unseren Kunden auch die großen Saatzuchtunternehmen rund um die Welt, in deren Gewächshäusern Zehntausende von Pflanzen stehen, die begutachtet werden müssen.
Und die Massen lassen sich mit der Automatisierung besser bewältigen?
Bas van Eerdt: Ich möchte zunächst betonen, dass unsere Technik die Züchter und Gutachter nicht ersetzen soll. Wir geben ihnen ganz einfach ein neues Werkzeug an die Hand, mit dem sich große Mengen an Pflanzen schnell begutachten lassen – und zwar voll digital und ganz objektiv. Letztlich unterstützt das System die Züchter bei der Suche nach der besten Pflanze.
Voll digital und 40 Gigabyte klingt nach großen Datenmengen. Wie soll der Kunde damit umgehen?
Stefan Gerth: Die Antwort lautet eResourcing. Damit können Unternehmen diese leistungsstarken, anspruchsvollen und datenintensiven CT-Scanner effektiv in der Praxis einsetzen. Ohne eResourcing wäre es für unsere Kunden unmöglich, diese Systeme zu betreiben, und sie hätten keinen Zugang zu den einzigartigen und umfangreichen Pflanzeninformationen, die erzeugt werden.
Wir können so in kurzer Zeit eine Fülle an Daten zur Verfügung stellen, die es bisher nicht gab. Die Zahl und Dicke der Kartoffelknollen oder eben die Dichte des Wurzelwerks. Bei Erbsen oder Erdnüssen können wir von außen die Qualität der Samen in den Schoten begutachten. Wir haben eine Fließbandanlage entwickelt, die viele Pflanzen in kurzer Zeit an dem CT-Scanner vorbeiführt. Bas kennt die Bedürfnisse der Züchter sehr gut. Wir wissen, was man aus Daten herausholen kann. Gemeinsam haben wir schon einige gute Ideen aus unseren Gesprächen gezogen. Wir haben uns vor einigen Jahren auf einer wissenschaftlichen Tagung kennengelernt und seitdem die Idee von der Phänotypisierung per CT gemeinsam zu einer schlüsselfertigen Anlage weiterentwickelt. Die Anlage kann den Züchtern jene Parameter liefern, die sie routinemäßig für die Phänotypisierung brauchen; aber darüber hinaus eben auch eine Fülle an Daten, die bislang noch gar nicht genutzt werden.
Wer kann von den Informationen und Ihrem System noch profitieren?
Bas van Eerdt: ...unter anderem die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln. Dank des CT-Scans können sie jetzt objektiver und genauer untersuchen, wie Pflanzen auf die Gabe der Wirkstoffe reagieren. Es ist auch vorstellbar, dass die neuen Erkenntnisse, die wir jetzt aus den Pflanzen gewinnen, zu verbesserten Anbaumethoden in der Landwirtschaft führen – zum Beispiel um auf den Klimawandel zu reagieren. Und wer weiß, vielleicht gibt es in einigen Jahren einen CT-Scanner, der so robust ist, dass man ihn nicht nur in Gewächshäusern, sondern direkt auf dem Acker einsetzen kann.