Klimawandel, Bevölkerungswachstum, schrumpfende Flächen: Feldrobotik als Lösung für Herausforderungen in der Landwirtschaft

11. Januar 2023 | Das Fraunhofer IIS feilt an der Landwirtschaft der Zukunft und liefert Sensorik, Software und Aktorik, mit der Feldroboter Ressourcen sparen und gesunde Wachstumsprozesse fördern können

Die Landwirtschaft steht vor gewaltigen Aufgaben: Anhaltende Dürren, schrumpfende Agrarflächen, neuartige Krankheiten und Schädlinge und eine stetig wachsende Weltbevölkerung bedürfen schnell intelligenter Lösungen. Eine solche stellen Feldroboter dar, die beispielsweise mit hoher Präzision befallene Pflanzen oder Unkraut identifizieren und entfernen können, sich um die Ernte kümmern oder gezielt bewässern und düngen. Ein Ansatz um diese vielfältigen Aufgaben erledigen zu können, stellt Sensorik, Software und Aktorik mithilfe künstlicher Intelligenz dar. Oliver Scholz, stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Berührungslose Mess- und Prüfsysteme, entwickelt am Entwicklungszentrum Röntgentechnik des Fraunhofer IIS Systeme, die man flexibel an verschiedene Anforderungen anpassen kann. So entsteht ein Baukasten, der maßgeschneiderte Lösungen für jede Anfrage bietet. 

Vorteile von Feldrobotern

Schon in Anwendung ist ein solches maßgeschneidertes System beispielsweise beim BlueBob-Roboter, der vom Fraunhofer IIS gemeinsam mit dem Saatzuchtunternehmen Strube D&S GmbH entwickelt wurde. BlueBob ist auf Unkrautbekämpfung im Zuckerrübenanbau spezialisiert. Mithilfe von Multispektralkameras erfasst er alle lebenden Pflanzen auf dem Feld. Daraufhin werden die Bilddaten in Echtzeit durch künstliche Intelligenz analysiert, in Rüben und Unkraut klassifiziert, und sofort das Unkraut mit statischen und aktiven Hackwerkzeugen entfernt. So schafft er etwa 0,5-1 Hektar Fläche die Stunde, autonom und zuverlässig. Diese Methode ist konventionellen Lösungen klar überlegen; Oliver Scholz betont: »Der Vorteil besteht darin, dass das Unkraut gleich wieder die Nährstoffe an den Boden zurückgibt, da es auf dem Ackerboden zurückgelassen werden kann und dort vergeht. Wenn es wie üblicherweise mit Pestiziden behandelt würde, dann ist der Nährstoff, den die Pflanze darstellt, für den Boden verloren.« So vermeidet man darüber hinaus, gegen den durch Unkraut hervorgerufenen Nährstoffentzug im Boden mit vermehrter Düngung reagieren zu müssen.  Währenddessen kann der Landwirt die Ergebnisse auf dem Tablet kontrollieren – im Gegensatz zum Menschen kann der Roboter das Feld rund um die Uhr bearbeiten, nur unterbrochen von kurzen Stopps bei der Ladestation. Neben der Unkrautbekämpfung sind weitere Anwendungsszenarien möglich, beispielsweise das sogenannte Precision Weeding und Precision/Spot Spraying. Bei dieser Lösung werden Pflanzenschutzmittel oder Bewässerung präzise aufgebracht, nachdem mittels Sensorik bedürftige Pflanzen identifiziert wurden.

In der Landwirtschaft gelten dabei eigene Größenordnungen: Schon 1% mehr Ertrag würde bei einer Menge von 4,3 Millionen Tonnen (die deutsche Zuckerproduktion im Jahr 2020/21) 43.000 Tonnen Mehrertrag bedeuten. Blickt man weiter in die Zukunft, wäre ein Szenario denkbar, bei der Feldroboter große Teile der Arbeit auf dem Feld erledigen, wodurch auch die Natur immens profitieren würde. Oliver Scholz spricht von Robotern, die per Solarstrom geladen werden, sich in großen Hallen mit den nötigen Mitteln oder Wasser ausstatten, auf das Feld fahren und sich letztlich individuell um jede einzelne Pflanze kümmern: »Ich könnte mir vorstellen, dass ein großer Roboter herumfährt und jätet und analysiert. Und wenn es Probleme gibt, alarmiert er einen kleineren Roboter, der sich den Problembereich in Ruhe noch mal anguckt. Dieser kann daraufhin kranke Pflanzen mit Medikamenten behandeln oder notfalls auch hacken, bevor sie andere Pflanzen anstecken.« Anstatt also mit chemischen Mitteln hektarweise Pflanzen zu behandeln, werden die Probleme gezielt gelöst. Das schützt das Grundwasser und führt zu einer höheren Lebensmittelqualität, ohne die Resistenz von Schädlingen und Krankheiten zu stimulieren. 

Die Analogie zur Massentierhaltung liegt nahe: »Man sieht es bei der Tierhaltung. Wenn allen Tieren präventiv Antibiotika gegeben werden, damit sie nicht krank werden, hat dies gravierende Folgen auf antibiotikaresistente Keime. Behandelt man kranke Tiere einzeln, entfällt dieses Problem.« Hinzu kommt, dass Roboter Hindernisse auf Feldern einfach umfahren können. Mit Traktoren stellt dieses Vorgehen einen großen Aufwand dar. So entstehen keine Anreize, Felder in riesige, rechteckige Monokulturflächen zu zerlegen, sondern kleinere Waldstücke und Sträucher auf Feldern zu erhalten, was der Bodenerosion entgegenwirkt.

Mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in die Zukunft

Aktuell befindet man sich auf bestem Wege, diese Vision Realität werden zu lassen. Beispielsweise durch die Zusammenarbeit mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, die mit dem Fraunhofer IIS gemeinsam Forschung im Bereich biogene Wertschöpfung vorantreibt. Dort entstehen große Versuchshallen mit sogenannten „controlled environments“, in denen man Temperatur, Tag-Nacht-Zyklus und CO2-Gehalt flexibel anpassen kann, um optimale Bedingungen für Pflanzenwachstum und Inhaltsstoffe (bspw. Vitamine) zu erforschen und Ressourcen maximal effizient einzusetzen. Auch Feldroboter werden dort in Anwendung sein. Studierende profitieren von der praxisnahen Umsetzung theoretischer Lerninhalte, das Fraunhofer IIS von den modernen Versuchsflächen und dem frischen Input aus der Hochschule. Dabei wird die Umsetzung, der Transfer in die Wirtschaft nie aus den Augen verloren, denn die Zeit drängt. Oliver Scholz möchte es anpacken: »Es gibt wahnsinnig viel zu tun

Angesichts der Umbrüche, die die Landwirtschaft gerade durchmacht, wird klar: Anpassungsfähigkeit brauchen nicht nur die Landwirte, die sich auf veränderte Klimabedingungen und Bevölkerungszahlen werden einstellen müssen, auch die Geräte und Systeme, mit denen sie arbeiten, müssen flexibel sein. Das Fraunhofer IIS bietet mit seinem Ansatz genau das, betont Oliver Scholz: »Unser Ziel ist es, ein Regal voller Bauelemente für das Smart Farming zu schaffen. Wenn jemand mit einer Problemstellung kommt, dann greifen wir einfach ins Regal und stellen eine individuelle Lösung zusammen

Beitrag von Lucas Westermann, Redaktion Fraunhofer IIS Magazin

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