Wie die Züchtung neuer Sorten bei der Trendwende in der Landwirtschaft helfen kann

14. November 2022 | Nachhaltigkeit durch Smart Farming - ein Porträt von Dr. Stefan Gerth

»Bis aktuell eine neue Sorte auf den Markt kommt, vergehen 10 bis 15 Jahre. Diese Zeit haben wir einfach nicht mehr.« Dr. Stefan Gerth ist Abteilungsleiter am Entwicklungszentrum für Röntgentechnik und überzeugt davon, dass Smart Farming die Landwirtschaft in eine nachhaltige Zukunft führen kann.

Was sind Ihre Ziele im Projekt »Biogene Wertschöpfung und Smart Farming«?

Wir wollen mit Hilfe des »Fraunhofer-Zentrums für Technologien in der Pflanzen-Phänotypisierung« in Triesdorf Technologien zur Phänotypisierung noch stärker in die industrielle Umsetzung bekommen. Das bedeutet u. a., eine Infrastruktur für kleine und mittelständische Unternehmen zu ermöglichen. Nicht jeder kann es sich leisten, ein riesiges Sensor-System zu erwerben, nur um zu testen, ob es sich für die individuellen Fragestellungen eignet.

Auch mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen wir uns. Wir haben viele Herausforderungen im Rahmen des Klimawandels in Bezug auf die Züchtung neuer Sorten. Im Speziellen bedeutet es, Sorten zu finden, die besser mit den herrschenden oder zukünftigen Klimabedingungen zurechtkommen. Dort ist das übergreifende Ziel, mit Computertomographie, optischen Sensor-Systemen und der kompletten Datenverarbeitung, die diese Technologien nach sich ziehen, schnell zu objektiven Merkmalen zu gelangen. Diese sollen Züchtern ermöglichen, Entscheidungen zu treffen, welche Sorten wie miteinander gekreuzt werden müssen, um optimale Ergebnisse zu erzielen.

Was ist Ihnen persönlich an der Arbeit wichtig?

Darauf gibt es mehrere Antworten. Zunächst einmal Teamwork. Ich finde es sehr, sehr bereichernd, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten und dabei möglichst alle Fachrichtungen zu involvieren. Innerhalb des Teams zu vermitteln und für die interdisziplinäre Kommunikation zu sorgen, macht mir sehr viel Spaß. Ein zweiter Punkt wäre Nachhaltigkeit und die sichere Produktion von Lebensmitteln in der Zukunft. Ich stelle mir jeden Tag die Frage: Was kann ich, was können wir dazu beitragen? Natürlich agieren wir mit unseren Technologien, die wir anbieten, am Anfang der ganzen Wertschöpfungskette. Das bedeutet, dass wir bei der Zucht neuer Sorten ansetzen: Startend bei der Selektion von Saatgut bis hin zur Bewertung der pflanzlichen Entwicklung. Für mich ist dies die Basis, wie wir in Zukunft die landwirtschaftliche Versorgung sicherstellen können, ohne das Klima weiter zu belasten. Wir müssen weiterhin dazu beitragen, die Zucht weiter zu beschleunigen. Bis aktuell eine neue Sorte auf den Markt kommt, vergehen 10 bis 15 Jahre. Diese Zeit haben wir einfach nicht mehr. Dafür Methoden zu entwickeln, um Merkmale von Pflanzen objektiv bewertbar zu machen, ist eines unserer größten Ziele, damit wir in Zukunft Nahrungsmittelsicherheit haben, sowohl in Europa, wie auch in der Welt.

Was wäre Ihre Vision für die Zukunft des Smart Farmings?

Gemeinsam unsere Technologien in die breite Anwendung zu führen. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe, weil die Ansprüche in sehr verschiedene Richtungen gehen. Beispielsweise braucht ein Landwirt andere Lösungen als ein Züchter. Ein Lebensmittelhändler hat wiederum andere Bedürfnisse. Eine nachhaltige Lebensmittelproduktion sicherzustellen, die an diese verschiedensten Bedürfnisse angepasst ist, ist unser übergreifendes Ziel. Da spielt von der Zucht über den Anbau bis hin zur Produktion alles zusammen. Letztlich müssen wir uns die Frage stellen, wie wir in der Zukunft leben und uns ernähren wollen. Die derzeitigen Belastungen für unseren Planeten sind so nicht mehr lange tragbar. Dort müssen wir also die Trendwende schaffen.

Wie lange wird es dauern, bis Smart Farming in die breite Anwendung kommt?

Wir sind bereits in Teilen der Industrie mit unseren Lösungen eingebunden. Natürlich arbeiten wir stetig daran, dies noch weiter auszubauen. Eines unserer ausgemachten Ziele ist es, im Bereich der Pflanzenzucht innerhalb der nächsten vier Jahre eine objektive Bewertung von Zuchtkriterien marktfähig zu machen, weg von den Early Adopters hin zu einem Großteil der Züchter. Wir müssen uns fragen, wie wir aus der kontrollierten Umgebung unserer Tests, bei der wir vor allem einzelne Pflanzen ins Auge nehmen, raus auf das Feld kommen.

Da geht es dann vor allem um die Zugänglichkeit, oder?

 Ja, genau das ist der springende Punkt, die Zugänglichkeit. Wir reden ja nicht davon, dass wir einen Sensor bauen, sondern davon, die komplette Kette von der Datenerzeugung, Datenaufbereitung bis zur Entscheidungsfindung mit dem Kunden abzudecken. Niemand will am Ende ein CT-System, um einzelne Bilder auszuwerten, sondern beispielsweise ein vollumfängliches Wurzel-Längen-Messsystem. Das ist ein Thema, bei der die Diskussion mit den Endanwendern unabdingbar ist: Nur so lernt man, was aus den Daten, die wir erheben, für spezifische Märkte relevant ist.

Wie sieht Ihre bisherige Laufbahn aus?

Angefangen habe ich 2013 am Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT. Dort startete ich nach meiner Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter und durfte das Themenfeld Landwirtschaft übernehmen. Daraufhin habe ich eine konkrete Idee erarbeitet, wie man unterirdisches Pflanzenwachstum zerstörungsfrei prüfen kann. Somit konnten wir unser Wissen zur Computertomographie verwenden, um zum Beispiel das Wachstum von Kartoffel-Knollen nachzuverfolgen. So starteten wir unsere ersten Forschungsprojekte.

2016 wurde ich Gruppenleiter und baute eine Gruppe für dieses Themenfeld auf. Im Jahr 2020 übernahm ich schließlich die Abteilungsleitung in einer Doppelspitze zusammen mit Alexander Ennen. Als Abteilungsleiter liegt mein Augenmerk darauf, Röntgensysteme generell in verschiedenen Geschäftsfeldern zu etablieren, von portablen Systemen bis hin zu XXL-Hochenergie Röntgensystemen. Computertomographie für die Pflanzen Phänotypisierung anwendbar zu machen, ist ein Erfolg unseres Teams. Inzwischen hat sich unsere Arbeit so weit entwickelt, dass wir bei Firmen und Forschungseinrichtungen Computertomographieanlagen zur Pflanzenprüfung in Förderband-Systeme integrieren.

Was sind Ihre speziellen Kompetenzen?

Was am meisten zu unserem Erfolg beigetragen hat, war vor allem die interdisziplinäre Kommunikation mit den Projektpartnern: wie kann man zwischen den unterschiedlichen Fachrichtungen erfolgreich Projekte initiieren? Ein Biologe hat selbstverständlich einen komplett anderen Blickwinkel als bspw. ich als Physiker und muss also anders an die Fragestellung herangehen. Das klingt zunächst erst einmal trivial, aber für das gemeinsame Verständnis muss viel investiert werden, damit jeder weiß, wovon man redet. Nur so kann man schließlich eine gemeinsame Lösung finden.

Und als Teamleiter?

Das Zuhören! Auch wir haben ein sehr interdisziplinäres, jedoch technologisch orientiertes Team. Dort muss man beobachten: wo gibt es Unterschiede? Wie kann man Herangehensweisen zusammenbringen und vielleicht eine Lösung finden, die in unterschiedlichen Gebieten einsetzbar ist?

Was sind Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte?

Vor dem Hintergrund des Forschungsprojekts »Biogene Wertschöpfung und Smart Farming« liegt mein Arbeitsschwerpunkt vor allem in der Projektleitung für das Fraunhofer IIS. Ich schaue mir also an, welche Fragestellungen bei uns bearbeitet werden, welche Partner wir dafür brauchen und eingebunden werden müssen, wo die Schnittstellen zu den anderen Instituten liegen und wer die jeweiligen Stakeholder aus Industrie, Wissenschaft und Politik sind. Projektmanagement und Controlling nehmen also die meiste Zeit ein. Darüber hinaus unterstützte ich natürlich noch mit Know-How und Ideen im Bereich der Pflanzenphänotypisierung: Mit welchen Sensor-Lösungen können wir welche Fragestellungen von unseren Stakeholdern beantworten und was müssen wir an Entwicklung leisten, um voranzukommen?

Ihre Aufgaben haben sich also über die Jahre hinweg stark verändert?

Am Anfang meiner Karriere war ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter noch wesentlich stärker in der Forschungs- und Projektarbeit involviert. Als Gruppenleiter lag mein Schwerpunkt mehr auf der Koordination von Projekten. Und jetzt als Abteilungsleiter koordiniere ich mehrere Gruppen und kümmere mich zusätzlich noch um das Projekt »Biogene Wertschöpfung und Smart Farming«. Zwar habe ich mich immer weiter von der Forschung entfernt, dafür habe ich aber die Möglichkeit, gestalterisch mehr zu wirken und herauszuarbeiten, welche Entwicklungsrichtung wir einschlagen müssen. Darüber hinaus habe ich das Glück, auf diesem Weg immer von einem tollen Team unterstützt zu werden.

Dr. Stefan Gerth, vielen Dank für das Gespräch.

 

Beitrag von Lucas Westermann, Redaktion Fraunhofer IIS Magazin

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