Neuer Goldstandard für die industrielle CT

Am Elektronensynchrotron in Grenoble entsteht eine weltweit einmalige Messstation für die zerstörungsfreie Prüfung großer Bauteile. Die Computertomographie-Anlage bietet eine Auflösung von 25 Mikrometern und liegt damit weit über dem bisherigen Standard von 100 Mikrometer Auflösung. Das Fraunhofer IIS ist mit seinem Bereich Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT maßgeblich an der Entwicklung der Messstation beteiligt.

Die Anforderungen der Industrie an die Prüfung von Bauteilen werden immer größer. Dabei kommt die Nachfrage aus den verschiedensten Branchen: vom Automobilbau über die Luftfahrtindustrie bis hin zu Windradherstellern. Mit der Computertomographie (CT) wollen die Produzenten z. B. die Fügenähte einer Autotür prüfen oder die Struktur eines Faserverbundwerkstoffs beurteilen. CT-Anlagen im Labor stoßen beim Wunsch nach immer besserer Auflösung an physikalische Grenzen. Diese Grenzen lassen sich nur durch Röntgenanlagen überwinden, die an einem Elektronensynchrotron betrieben werden, wie beispielsweise der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble.

Die ESRF verfügt über einen Elektronenspeicherring, der einen Umfang von 844 Metern hat. In diesem Speicherring zirkulieren ständig Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit. Die enorme Energie dieser Elektronen wird zur Erzeugung von Röntgenstrahlung genutzt. Dazu gibt es am Speicherring mehrere Anlagen, die als Röntgenquelle dienen. Von dort wird die Strahlung in geraden Röhren, sogenannten Strahllinien, tangential vom Ring weggeleitet und für die verschiedensten wissenschaftlichen Experimente genutzt.

»Im Zuge der Renovierung des Elektronenspeicherrings hat die ESRF neue Strahllinien gebaut. Eine davon ist die BM18 Beamline, die wir zu einer einzigartigen Anlage für die industrielle CT ausbauen«, erklärt Prof. Dr. Simon Zabler, Leiter der niederbayerischen EZRT-Standorte Deggendorf und Passau und Projektleiter des BM18-Projekts. Zabler ist ein ausgewiesener Experte für Synchrotron-Bildgebung. Er hat bereits vor über zwanzig Jahren seine Master- und Diplomarbeit in Grenoble geschrieben. »Fraunhofer übernimmt gemeinsam mit den Universitäten Passau und Würzburg die Entwicklung der Detektortechnologie, der IT-Hardware sowie der Datenverarbeitung«, berichtet der Physiker. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium mit 6,3 Millionen Euro gefördert.

© European Synchrotron Radiation Facility
Röntgenaufnahme einer Kamera, zwei Ansichten.

Extrem scharfe Bilder mit einzigartigem Phasenkontrast

In der BM18 Beamline wird der am Elektronenspeicherring erzeugte Röntgenstrahl 200 Meter weit durch eine Vakuumröhre geleitet, ehe er in der großen Experimentierhalle ankommt. Hier trifft er auf das Objekt, das sich auf einem Podest dreht und sukzessive gescannt wird. Nach dem Durchtritt durch das Objekt trifft der Röntgenstrahl auf den bis zu 40 Meter entfernten Detektor. »Durch den großen Abstand des Objekts zur Röntgenquelle und zum Detektor erhalten wir extrem scharfe Bilder mit einem einzigartigen Phasenkontrast«, betont Simon Zabler.

Um diese Bilder festzuhalten, haben die Forschenden einen Röntgendetektor entwickelt, der neue Maßstäbe setzt. Während die bislang höchstauflösende Röntgenkamera rund 8000 Bildpunkte pro Zeile lieferte, verfügt der neue Detektor über 16 000 Pixel pro Zeile. Damit kann ein 40 Zentimeter breites Objekt mit einer Auflösung von 25 Mikrometer pro Pixel abgetastet werden. Die Röntgenkamera basiert auf der XEye-Technologie, die im Bereich Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT entwickelt wurde.

 

European Synchrotron Radiation Facility (ESRF)


Das ESRF wurde 1994 in Grenoble am Rande der französischen Alpen gegründet und wird von 17 Ländern finanziert. Der von der ESRF betriebene Elektronenspeicherring ist weltweit der drittgrößte seiner Art. Er erzeugt Röntgenstrahlen, die zehn Trillionen Mal heller sind als die in der Medizin genutzten Röntgenstrahlen. Die Strahlen werden von Forschenden aus der ganzen Welt rund um die Uhr für Experimente genutzt.

 

Zwei Gigabyte Daten pro Sekunde

Die Datenmengen, die die Röntgenkameras liefern, sind enorm. »Bei Vollbetrieb erzeugen wir pro Sekunde zwei Gigabyte Tomographie-Daten«, erläutert Simon Zabler. Um diese Datenflut zu bewältigen, arbeitet das EZRT eng mit den Lehrstühlen von Prof. Dr. Tomas Sauer in Passau und von Prof. Dr. Randolf Hanke in Würzburg zusammen. Hier geht es in erster Linie darum, aus den Daten der einzelnen Scans das Volumenbild des Objekts zu rekonstruieren.

Röntgenaufnahme einer Obstschale
© European Synchrotron Radiation Facility
Röntgenaufnahme einer Obstschale

»Wenn wir die Daten einfach roh auf den Servern des ESRF speichern würden, wäre die gesamte Speicherkapazität der Großforschungseinrichtung nach einem Monat voll«, verdeutlicht Zabler. Daher arbeitet das Projektteam an der verlustfreien Kompression der Bilddaten. Als Basis dient der Standard JPEG 2000, an dessen Entwicklung das Fraunhofer IIS beteiligt war. Durch die Kompression ist es möglich, einen Datensatz von ursprünglich 100 Terabyte auf einem Laptop zu öffnen.

Obwohl das Projekt nach seinem Start im Frühjahr 2020 von den Auswirkungen der Pandemie betroffen war, konnten Ende 2021 die ersten Probemessungen durchgeführt werden. Das Jahr 2022 wird das Team nutzen, um die Anlage zu optimieren und Beispielobjekte zu scannen, die als Showcases das Potenzial der Anlage verdeutlichen. Im Dezember 2022 soll dann der Messbetrieb für die Industriekunden starten.

Messung von Bauteilen bis 70 Zentimeter Breite

»Die Kunden, die wir mit der Labor-CT betreuen, zeigen großes Interesse an der BM18 Beamline«,sagt Simon Zabler erfreut. »Wir können das Messfeld auf 70 Zentimeter erweitern, indem wir einen Halbfeld-Scan machen, bei dem wir zuerst die eine und dann die andere Hälfte des Objekts scannen.« Für Kunden, die eine ganze Palette von Bauteilen röntgen lassen möchten, bietet die BM18 einen enormen Vorteil. »Untersuchungen, für die wir mit der Labor-CT eine Woche brauchen, können wir in Grenoble in wenigen Stunden erledigen, und das in weit besserer Qualität«, verspricht Zabler. »Das EZRT übernimmt natürlich die komplette Abwicklung des gesamten Messvorgangs.«

Für Industriekunden ist ein Achtel der Strahlzeit der BM18 Beamline vorgesehen. Die restliche Zeit steht für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung. Um die Zuteilung von Strahlzeit haben sich schon jetzt wesentlich mehr Forschende beworben als berücksichtigt werden können. Die Auswahl trifft eine unabhängige Jury. Ein Projekt ist bereits genehmigt: das Human Organ Project. Bei diesem Vorhaben werden menschliche Organe aus der Pathologie mit enormer Genauigkeit gescannt und als anatomischer 3D-Atlas der Allgemeinheit zugänglich gemacht.

Röntgenaufnahme einer Koralle
© European Synchrotron Radiation Facility
Röntgenaufnahme einer Koralle
Thomas Kestler

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Thomas Kestler

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